Wenn Ämterpatronage strafbar wird…

Das Phänomen der Ämterpatronage ist so alt wie zeitlos und beschäftigt die Gerichte.

Ämterpatronage bezeichnet die Auslese von Bewerbern bei der Besetzung von Ämtern und Positionen auf der Grundlage unsachgemäßer Kriterien (Parteizugehörigkeit, persönliche Bindung, etc.). Max Weber formulierte dazu 1919 in seinem Klassiker „Politik als Beruf“:

 „Alle Parteikämpfe sind nicht nur Kämpfe um sachliche Ziele, sondern vor allem auch: um Ämterpatronage.“

Bestätigung für seinen Befund würde er in diesen Tagen finden. Ein kurzer Blick in die Nachrichten fördert zu Tage:

  • In Thüringen kommt der Landesrechnungshof in einem Sonderbericht zum Ergebnis, dass es bei der Einstellung von Personal – Staatssekretäre und Leitungspositionen in der Verwaltung – schwerwiegende Verstöße gegeben hat. Die Staatsanwaltschaft Erfurt ermittelt wegen des Vorwurfs der Untreue.
  • In Mecklenburg-Vorpommern prüfte der dortige Landesrechnungshof 55 Stellenbesetzungsverfahren und stellt fest, dass alle 55 Verfahren zu beanstanden seien – in 50 Verfahren sei es zu schwerwiegenden Fehlern gekommen. So wurde beispielsweise die Behördenleitung mit einem Bewerber besetzt, der weder Abitur noch Studium aufwies.
  • In einem anderen Fall bat ein Bundestagsabgeordneter eine Staatssekretärin um Auskunft, welche Leitungspositionen in Behörden des Bundes neu zu besetzen seien, denn dies böte die Möglichkeit, die Vorstellungen und Ideale der Partei noch fester zu verankern.

Dabei lässt ein Blick in die Verfassung und das einfache Gesetz zunächst vermuten, dass es das Problem gar nicht geben dürfte. In Art. 33 Abs. 2 GG heißt es, dass jeder Deutsche „nach seiner Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte“ hat. Einfachgesetzlich ist das Leistungsprinzip in den Landesbeamtengesetzen und im Bundesbeamtengesetz verankert.

Das Bundesverwaltungsgericht definiert als Ämterpatronage die Vergabe von Ämtern nach anderen als allein leistungsbezogenen Gesichtspunkten: „Im Vordergrund steht die Vergabe an politisch oder persönlich Nahestehende, vor allem aber an Beamte, bei denen Willfährigkeit in der Durchsetzung politischer Ziele zu vermuten ist“ (BVerwG, Beschluss vom 27. September 2007 – 2 C 21/06, 26/06, 29/07, NVwZ 2008, 318).

Ämterpatronage tritt insbesondere im Zusammenhang mit politischen Beamten auf. Zwar darf bei Einstellung und Beförderung politischer Beamter die Parteimitgliedschaft berücksichtigt werden. Dieser Erwägungspunkt ersetzt allerdings nicht das Leistungsprinzip. Oder um es mit dem Bundesverwaltungsgericht zu sagen: „Objektive Defizite hinsichtlich der an Eignung, Befähigung und Leistung zu stellenden Anforderungen [können] nicht durch ‚politisches Vertrauen‘ kompensiert werden.“ (BVerwG, Beschluss vom 25. April 2007 – 1 WB 31/06, BeckRS 2007, 25247)

Wann begründen rechtswidrige Stellenbesetzungsverfahren eine strafbare Untreue?

Verstöße gegen haushalts-, dienst oder beamtenrechtliche Vorschriften übersetzen sich im Strafrecht in den Bereich der Untreue (§ 266 StGB).

Der objektive Tatbestand der Untreue umfasst vier Voraussetzungen – (1) der Täter muss vermögensbetreuungspflichtig im öffentlichen Dienst sein, (2) diese Pflicht (gravierend) verletzt haben, (3) einen Vermögensnachteil verursacht haben, (4) der auf der Pflichtverletzung fußt (Kausalität).

Wer kann Täter sein?

In den Fällen der Ämterpatronage unproblematisch sind in der Regel die Tatbestandsmerkale der Vermögensbetreuungspflicht und Kausalität. Bereits dem Wortlaut nach („behörderlicher Auftrag“) sind Amtsträger taugliche Täter. Nichts anderes gilt für jeden Entscheidungsträger im öffentlichen Sektor, denn diese sind zur Beachtung der allgemeinen Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit und damit zum Schutz des öffentlichen Haushaltsvermögens verpflichtet. Der BGH hat dies für Bürgermeister, Oberbürgermeister und Landräte in den vergangenen Jahren durchdekliniert (BGH, Urteil vom 9. Dezember 2004 – 4 StR 294/04, NStZ-RR 2005, 83; Urteil vom 26. April 2006 – 2 StR 515/05, NStZ-RR 2006, 307; Urteil vom 24. Mai 2016 − 4 StR 440/15, NStZ 2016, 600).

Eine Verletzung von Vermögensbetreuungspflichten setzt nach Maßgabe der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung voraus, dass die verletzten Pflichten gravierend sind, was wiederum dann der Fall sein soll, wenn sie evident sind (BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2010 – 2 BvR 2559/08, NJW 2010, 3209).

Nicht jeder Verstoß gegen haushalts-, dienst oder beamtenrechtliche Vorschriften ist eine untreuetaugliche Pflichtverletzung. Vielmehr muss aufgrund einer Gesamtbetrachtung die Verletzung der außerstrafrechtlichen Normen evident sein, um die strafrechtlich relevante Schwelle zu übertreten.

Pflichtverletzung durch Verstoß gegen den Sparsamkeitsgrundsatz

Bundes- wie landesrechtliche Bestimmungen verpflichten zur Führung der Haushaltswirtschaft nach den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit. Der Sparsamkeitsgrundsatz, wonach der Staat nichts „verschenken“ darf, stellt ein allgemeines Prinzip der Haushaltsführung für den gesamten öffentlichen Bereich dar, das von allen Trägern hoheitlicher Gewalt unabhängig davon zu beachten ist, auf welcher Grundlage sie tätig werden (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 9. Dezember 2004 – 4 StR 294/04, NStZ-RR 2005, 83).

Der Sparsamkeitsgrundsatz ist nach der Rechtsprechung des BGH als rechtliche Steuerungsnorm dazu bestimmt, einen äußeren Begrenzungsrahmen für den Entfaltungs- und Gestaltungsspielraum aller Hoheitsträger dahingehend zu bilden, solche Maßnahmen zu verhindern, die mit den Grundsätzen vernünftigen Wirtschaftens schlicht unvereinbar sind (vgl. nur BGH, Urteil vom 9. Dezember 2004 – 4 StR 294/04, NStZ-RR 2005, 83). Er verlangt zwar keine Kostensenkung bzw. -ersparnis um jeden Preis, soll aber unvernünftiges Wirtschaften verhindern.

Mithin muss im Falle einer Haushaltsentscheidung mit Ermessensspielraum erst bei Überschreitung des äußeren Begrenzungsrahmens ein evidenter und schwerwiegender Verstoß gegen den Sparsamkeitsgrundsatz vorliegen. Gleiches gilt für die Fälle ohne Ermessensspielraum. Die Prüfung hat anhand einer Gesamtbetrachtung zu erfolgen. Beispielhaft nennt der BGH die Nicht-Beachtung bestehender Ausschreibungsvorschriften, eine fehlende Dokumentation der für die Einstufung maßgeblichen Gründe, die verspätete Zuleitung unvollständiger Bewerbungsunterlagen an das Personalamt der Stadt, die Nichtbeteiligung des Personalrats, die vorfristige Verkürzung der vorgesehenen Probezeiten und den Umstand, dass in Abweichung von der üblichen Verfahrensweise die Zubilligung der Erfahrungsstufe unmittelbar in den Arbeitsverträgen erfolgte (BGH, Urteil vom 24. Mai 2016 − 4 StR 440/15, NStZ 2016, 600).

Pflichtverletzung durch Verstoß gegen den Grundsatz der Bestenauslese

Die Strafbarkeit der Ämterpatronage knüpft regelmäßig an einen Verstoß gegen den Grundsatz der Bestenauslese nach Art. 33 Abs. 2 GG an (BGH, Urteil vom 26. April 2006 – 2 StR 515/05, NStZ-RR 2006, 307).

Woran macht der BGH aber nun eine „gravierende“ Pflichtverletzung im Stellenbesetzungsverfahren fest? Dazu muss die Fehlbesetzung „offensichtlich“ sein bzw. „auf der Hand liegen“. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn die Person aufgrund ihrer Ausbildung, Vorbildung und beruflichen Erfahrung „ersichtlich ungeeignet“ ist. So „liegt es auf der Hand“, dass die Stelle eines Fachdienstleiters für Tourismus, Sport und Kulturförderung nicht mit einer Person besetzt werden darf, deren Qualifikation darauf beruhen sollte, dass sie Präsident eines Sportvereins war und einen 3-tägigen Lehrgang über kommunales Haushaltsrecht besucht hat (BGH, Urteil vom 26. April 2006 – 2 StR 515/05, NStZ-RR 2006, 307).

Der Rechtsprechung lässt sich entnehmen, dass die Übergehung des Personalrates zumindest als Indiz für die Schwere der Pflichtverletzung, wenn nicht sogar als eigene Pflichtverletzung gewertet wird (BGH, Urteil vom 26. April 2006 – 2 StR 515/05, NStZ-RR 2006, 307; BGH, Urteil vom 24. Mai 2016 − 4 StR 440/15, NStZ 2016, 600).

Vermögensnachteil

Zur Annahme eines strafrechtlich relevanten Vermögensnachteils reicht allerdings nicht jede verbotswidrige Mittelverwendung aus. Es bedarf einer wirtschaftlich nachteiligen Mittelverwendung. Tritt keine Kompensation durch eine öffentliche Aufgabenerfüllung ein, ist eine materiell zweckwidrige Mittelverwendung anzunehmen. Konkret: Es erfolgen aus Haushaltsmitteln Zahlungen, auf die ersichtlich kein Anspruch besteht (BGH, Urteil vom 9. Dezember 2004 – 4 StR 294/04, NStZ-RR 2005, 83). Wird offensichtlich ungeeignetes Personal eingestellt oder eine überhöhte Eingruppierung bzw. Einstufung vorgenommen, liegt eine kompensationslose Mittelverwendung vor, die einen Vermögensnachteil begründet.

Im Falle der Einstellung nicht qualifizierter Personen auf haushaltsrechtlich gar nicht vorhandene und sachlich überflüssige Stellen entsteht ein Schaden in Höhe der gezahlten Bruttovergütung. Auf die Arbeitsleistung kommt es nicht an (BGH, Urteil vom 26. April 2006 – 2 StR 515/05, NStZ-RR 2006, 307). Erfolgt eine zu hohe Einstufung bzw. Eingruppierung, ist der Mindestschaden in Höhe der Differenzbeträge zwischen der maximal zulässigen und der tatsächlich bewilligten Erfahrungsstufe und den abgeflossenen Mitteln zu bestimmen.

Eine Kompensation des Schadens durch die Arbeitsleistung der eingestellten Person kommt bei Beamten nicht in Betracht. Oder um es mit dem BGH zu sagen: Ein Beamter erhält „Bezüge, die ihm nicht zustehen, weil er von dem allein maßgeblichen Standpunkt des Staates aus für das Amt nicht tauglich ist, und es kommt nicht darauf an, ob er die mit der Amtsstellung verbundenen Aufgaben ordnungsgemäß wahrnimmt“; der öffentliche Dienstherr ist in einem solchen Falle „ohne Rücksicht auf den objektiven Wert der Dienste in seinem Vermögen geschädigt“ (BGH, Urteil vom 16. März 1954 – 5 StR 552/53, NJW 1954, 890). Abzustellen ist alleine auf den Zeitpunkt der Tathandlung, konkret die Einstellung.

Anders ist es bei privatrechtlichen Anstellungsverhältnissen. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass bei privatrechtlichen Anstellungsverhältnissen sich das Vorliegen eines Vermögensnachteils in erster Linie danach bemisst, ob der Angestellte die Leistungen erbringen kann, die nach seiner gehaltlichen Eingruppierung oder dem Anstellungsvertrag von ihm erwartet werden dürfen, vgl. dazu BGH, Beschluss vom 21. August 2019 − 3 StR 221/18. Da die Vertragspflichten bei Vertragsschluss – nicht aber die künftig erbrachten Leistungen im Rahmen der Vertragsführung – gegenüberzustellen sind, handelt es sich um einen aus ex-ante Sicht zu beurteilenden Gefährdungsschaden. Ausnahmen, die zu einer dem Beamtenrecht angenäherten Schadenermittlung führen, bestehen für privatrechtlich Angestellte, die durch die von ihnen wahrgenommene Position ein besonderes (öffentliches) Vertrauen für sich beanspruchen (BGH, Beschluss vom 21. August 2019 − 3 StR 221/18, BeckRS 2019, 26456, Rn. 33).

Zu beachten ist, dass der Vermögensnachteil mit jeder Vergütungszahlung anwächst. Deshalb werden im Falle der Haushaltsuntreue schnell hohe Schadenssummen erreicht, welche die Annahme eines besonders schweren Falles der Untreue – ein Vermögensnachteil großen Ausmaßes wird ab einer Summe größer 50.000 EUR angenommen – begründen.

Fazit – was tun bei Verdacht auf strafbares Verhalten?

Ämterpatronage ist keine Seltenheit. Nicht selten werden rechtswidrige Stellenbesetzungsverfahren erst nach einem Wechsel an der Behördenspitze bzw. einem Regierungswechsel offenbar. Neben den materiellen Schaden treten die tatsächlichen und politischen Folgen in Form von demotivierten Bediensteten, qualitativ schlechter Arbeit sowie eines Vertrauensverlustes der Bevölkerung in die öffentliche Verwaltung und die politisch Verantwortlichen.

Fälle von Ämterpatronage nachzuweisen, kann Schwierigkeiten bereiten, weil – dies liegt in der Natur der Sache – die tatsächlichen Gründe für eine Einstellung mit vorgeblichen sachlichen Gründen verschleiert werden. Um nicht missverstanden zu werden: nur weil eine Ämterpatronage schlecht zu beweisen ist, ist sie nicht straflos. Es bedarf einer Einzelfallbetrachtung, welche bestehende (politische) Beurteilungsspielräume und das Ermessen der einstellenden Behörde berücksichtigt. Sind diese gut dokumentiert, können daraus für Betroffene Verteidigungsansätze und für Behörden Aufklärungsanker entstehen.

Liegen (interne) Hinweise auf Gesetzesverstöße vor, sind betroffene öffentliche Stellen und Entscheidungsträger unter Berücksichtigung der Schwere des mutmaßlichen Verstoßes, dem möglichen materiellen Schaden und den konkreten Verdachtsmomenten regelmäßig verpflichtet, Hinweise systematisch aufzuarbeiten und interne Ermittlungen auszulösen. Um erfolgreich aufzuklären, bedarf es eines absolut vertraulichen Umgangs, der den Besonderheiten der politischen Implikation gerecht wird.

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