VerSanG: „Schwarze Liste“ für sanktionierte Unternehmen
Der Gesetzentwurf zum Verbandssanktionengesetz (VerSanG-E) sieht vor, dass ein Gericht bei der Verhängung einer Verbandssanktion als Nebenfolge die „öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung des Verbandes anordnen“ kann (§ 14 Satz 1 VerSanG-E). Was sind aber die Voraussetzungen und was sind die Folgen für betroffene Unternehmen? Hier die wesentlichen Fragen und Antworten:
Was sind die Voraussetzungen der öffentlichen Bekanntmachung?
Die Voraussetzungen einer öffentlichen Bekanntmachung sind (§ 14 Satz 1 VerSanG-E), dass
- eine Verbandssanktion verhängt worden und das Urteil rechtskräftig ist,
- es eine „große Zahl von Geschädigten“ gibt und
- die öffentliche Bekanntmachung der Information der durch die Verbandstat Geschädigten dient.
- Wenn die Verbandssanktion wegen Durchführung einer internen Untersuchung gemildert wurde, kommt die öffentliche Bekanntmachung dagegen nicht in Betracht (§ 18 Satz 2 VerSanG-E).
Welchen Zwecken dient die öffentliche Bekanntmachung?
Das geplante Verbandssanktionengesetz eröffnet somit die Möglichkeit einer öffentlich zugänglichen „schwarzen Liste“. Nach der Begründung des Regierungsentwurfs soll es zwar nicht das Ziel der öffentlichen Bekanntmachung sein, den sanktionierten Verband an den Pranger zu stellen. Vielmehr soll sie allein der Information der durch die Verbandstat Verletzten dienen. De facto wird der Veröffentlichung aber eine Prangerwirkung zukommen.
Vorschriften, die im Ergebnis einen ähnlichen Effekt haben, finden sich im Bereich des Kapitalmarktrechts (vgl. § 50a BörsG, § 123 WpHG, Art. 34 MAR), das insoweit maßgeblich auf das EU-Recht zurückgeht: das sog. naming & shaming. Auch im Wettbewerbsrecht kennt man die Veröffentlichung eines Urteils, wenn Belange der Allgemeinheit nur durch die Breitenwirkung einer Urteilsveröffentlichung wirksam gewahrt werden können (vgl. § 12 Abs. 3 UWG; auch § 19c MarkenG).
Wie und wo erfolgt die öffentliche Bekanntmachung?
Die öffentliche Bekanntmachung ist in das Ermessen des entscheidenden Gerichts gestellt („kann“), das sich insoweit am Informationsinteresse der Geschädigten im Hinblick auf die Geltendmachung von Ersatzansprüchen orientieren muss.
Allgemein hat das Gericht bei der Entscheidung insbesondere den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten und eine Interessenabwägung vorzunehmen, in die es die Vor- und Nachteile einzubeziehen hat, die sich aus der Bekanntmachung des Urteils für den verurteilten Verband und die Geschädigten ergeben. Das Interesse der Geschädigten kann es zum Beispiel gebieten, die Verurteilung nur einem bestimmten Kreis von Betroffenen bekannt zu geben. Ein auf die Veröffentlichung gerichtetes Genugtuungsinteresse der Geschädigten darf das Gericht dagegen nicht berücksichtigen. Ebenso darf die Bekanntmachung keinesfalls der öffentlichen Anprangerung des Verhaltens dienen (auch wenn dies de facto eine Nebenfolge der Veröffentlichung sein wird).
Sind andere gleichwertige Informationsquellen über die Verurteilung vorhanden, bedarf es generell keiner öffentlichen Bekanntmachung. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn das Verfahren bereits Gegenstand umfangreicher Berichterstattung in den Medien ist (LG Hamburg, ZUM 2011, 347 (349) zur Veröffentlichung gem. § 19c MarkenG). Die Anordnung kann nach der Begründung zum Regierungsentwurf (S. 91) auch dann unterbleiben, wenn der Verband den Schaden wiedergutgemacht hat.
Insoweit muss das Gericht Art (z.B. im Internet, Aushang an der Gerichtstafel, Veröffentlichung in der lokalen Tageszeitung) und Umfang (z.B. nur der Tenor, Urteilsgründe, Auszüge aus den Gründen, Zusammenfassung der wesentlichen Informationen) der Bekanntmachung im Urteil bestimmen (§ 14 Satz 2 VerSanG-E).
Wie werden Persönlichkeitsrechte und Geschäftsgeheimnisse geschützt?
Art und Umfang der Veröffentlichung müssen möglichst grundrechtsschonend sein und insbesondere die Persönlichkeitsrechte der Leitungspersonen schützen. Insoweit führt auch die Begründung zum Regierungsentwurf aus (S. 91), dass eine Namhaftmachung der an der Verbandstat beteiligten natürlichen Personen „in aller Regel nicht erforderlich“ ist. Aus diesem Grund wird es regelmäßig genügen, wenn lediglich ein reduzierter und anonymisierter Tatbestand sowie der Entscheidungstenor veröffentlicht werden.
Informationen zu Geschäfts-, Betriebs-, Erfindungs- oder Steuergeheimnissen sind von der öffentlichen Bekanntmachung – nach der Begründung zum Regierungsentwurf (S. 91) – stets ausgeschlossen. Hier wäre es wünschenswert, wenn der Gesetzgeber eine Klarstellung im Gesetzestext aufnähme.
Welche zeitlichen Grenzen gelten?
Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verlangt, in jedem Einzelfall zu prüfen, ob je nach Art und Inhalt der Veröffentlichung auch eine Bestimmung zur zeitlichen Begrenzung im Urteil aufgenommen wird. Die Bekanntmachung der Verurteilung im Internet muss spätestens ein Jahr nach der Veröffentlichung entfernen werden (§ 14 Satz 3 VerSanG-E). Gerade wenn eine Veröffentlichung im Internet und nicht in einem einmalig erscheinenden Printmedium bestimmt wird, kann es jedoch angezeigt sein, diese auch mit einer kürzeren Frist als einem Jahr zu versehen.
Was bedeutet „große Zahl von Geschädigten“?
Was unter der Voraussetzung einer „großen Zahl von Geschädigten“ zu verstehen ist, lässt der Regierungsentwurf offen. Nach der Begründung (S. 90) bedarf es einer tatbestandsspezifischen Auslegung. Der Verbandstat müsse angesichts der Anzahl der Betroffenen eine Bedeutung zukommen, die über den Einzelfall hinausreiche. Was darunter konkret zu verstehen ist, lässt sich abstrakt schwer beantworten.
Im Fall der besonders schweren Brandstiftung (§ 306b Abs. 1 StGB) lässt die Rechtsprechung für die Gesundheitsschädigung einer „großen Zahl von Menschen“ beispielsweise 14 Personen genügen, ohne aber allgemeingültige Maßstäbe zu entwickeln (BGH, NStZ 1999, 84 (85)). Eine vollständige Gleichsetzung mit dem Begriff „große Zahl von Menschen“ (wie er z.B. auch in § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und § 330 Abs. 2 Nr. 1 StGB verwendet wird) passt jedoch nicht, weil in § 14 Satz 1 VerSanG-E von „Geschädigten“ gesprochen wird, was auch juristische Personen umfassen kann.
In quantitativer Hinsicht wird insoweit erst die Praxis zeigen, ob eine große Zahl von Geschädigten – wie etwa im besonders schweren Fall des Betruges – mehr als
- zehn Geschädigter (LK-StGB/Tiedemann, 12. Aufl. 2012, § 263 StGB Rn. 299),
- 20 Geschädigter (NK-StGB/Kindhäuser, 5. Aufl. 2017, § 263 StGB Rn. 396; MüKo-StGB/Hefendehl, 3. Aufl. 2019, § 263 StGB Rn.980),
- 50 Geschädigter (StudKomm-StGB/Joecks, 7. Aufl. 2007, § 263 StGB Rn. 127)
- oder aber einer stets am Einzelfall orientierten Größenordnung bedarf.
Auch insoweit wird die Rechtspraxis zu beobachten sein.
Was ist sonst noch zu beachten?
Von der öffentlichen Bekanntmachung der Verurteilung ist die Eintragung der gerichtlichen Entscheidung in das Verbandssanktionenregister (§§ 54 ff. VerSanG-E) zu unterscheiden (siehe dazu: Verbandssanktionenregister – Fragen und Antworten). Jenes dient primär der Information der Justiz und ist grundsätzlich nicht öffentlich zugänglich.
Nachtrag: Kippt die Regelung?
Am 18.09.2020 hat der Bundesrat dafür plädiert, die Regelung in § 14 VerSanG-E gänzlich zu streichen (S. 10 BR-Drucks. 440/20(B)). Zur Begründung führt der Bundesrat unter anderem aus, dass der öffentlichen Bekanntmachung rein faktisch eine Pranger- und Sanktionswirkung zukomme. Der Bundesrat führt hierzu u.a. aus: „Dass es tatsächlich der Veröffentlichung des Urteils bedarf, um Geschädigte zu informieren, ist angesichts der Geschwindigkeit der Informationsverbreitung in einer hochgradig vernetzten Gesellschaft wenig nachvollziehbar. Dass ein Geschädigter von einem Verband durch eine Straftat geschädigt wurde, gleichwohl keine Anzeige erstattet und sich auch sonst nicht darüber informiert, ob und in welcher Form er gegen diesen Verband vorgehen kann, dann ausgerechnet die Veröffentlichung des Urteils zur Kenntnis nimmt, ist schwer vorstellbar.“ (S. 12 BR-Drucks. 440/20(B)).
Die Kritik des Bundesrats ist beachtlich. Sie entlarvt die tatsächliche Intention, die hinter der öffentlichen Bekanntmachung steckt, sodass es im Ergebnis nicht unwahrscheinlich erscheint, dass die Regelung kippen wird.