Verbandssanktionengesetz: Was Staatsanwaltschaften und Schrödingers Katze gemein haben
Eine der zentralen Neuerungen des VerSanG-E ist die Schaffung konkreter (Verfahrens-)Regeln für interne Untersuchungen. Deren Durchführung soll es den Unternehmen ermöglichen, Pluspunkte zu sammeln und auf diese Weise eine Sanktionsmilderung nach §§ 17 Abs. 1, 18 S. 1 VerSanG-E zu erreichen (vgl. hier).
Mit dieser (Teil-)Privatisierung geht im Grundsatz ein Nebeneinander von staatlichen Ermittlungen und interner Untersuchung einher. Der Gesetzgeber hat in § 41 VerSanG-E versucht, hierfür eine verfahrensrechtliche Lösung zu finden. Richtig durchdacht ist diese Lösung leider nicht.
Richtiger Grundgedanke
Der Gesetzesentwurf (BT-Drs. 19/23568) wählt im Grundsatz einen nachvollziehbaren und richtigen Ansatz. Die ressourcenintensive Durchführung paralleler Ermittlungen soll vermieden werden. Einem Unternehmen, welches sich zur Durchführung interner Untersuchungen entschieden hat und dies glaubhaft kommuniziert, soll der notwendige Freiraum eingeräumt werden, den Worten auch Taten folgen zu lassen.
Dieser Ansatz findet in § 41 VerSanG-E einen gesetzlichen Niederschlag. So heißt es im Entwurfstext:
„Zeigt ein Verband gegenüber der Verfolgungsbehörde an, eine verbandsinterne Untersuchung nach § 17 durchzuführen, so kann die Verfolgungsbehörde bis zum Abschluss der verbandsinternen Untersuchung von der Verfolgung des Verbandes absehen. Die Verfolgungsbehörde kann zur Vorlage des Abschlussberichts der verbandsinternen Untersuchung eine Frist bestimmen. […]“
Die staatlichen Ermittlungen können mithin für eine bestimmte Frist auf Eis gelegt werden und so dringend benötigte staatliche Ermittlungskapazitäten eingespart werden (vgl. zur Intention BT-Drs. 19/23568, S. 98).
Unklares Verhältnis zu § 17 Abs. 1 Nr. 3 VerSanG-E
Man fühlt sich jedoch an Schrödingers Katze erinnert, wenn die nach § 41 Abs. 1 VerSanG-E in Bezug genommene Regelung des § 17 VerSanG-E fordert, dass der Untersuchungsführer während der internen Untersuchung verpflichtet wird, „ununterbrochen und uneingeschränkt“ mit den Strafverfolgungsbehörden zu kooperieren. Sinnvoll ist dies wohl nur, wenn diese Kooperationspflicht während der nach § 41 Abs. 1 S. 2 VerSanG-E bestimmten Frist ebenfalls ausgesetzt ist. Andernfalls könnte die Staatsanwaltschaft gleichsam das Verfahren vorläufig einstellen (BT-Drs. 19/23568, S. 98) und es doch weiter aktiv begleiten.
Genau dies schwebt allerdings dem Gesetzgeber vor. In der Gesetzesbegründung heißt es:
„Weitere Voraussetzung ist die Durchführung der verbandsinternen Untersuchung nach der Maßgabe dieses Gesetzes. Dies betrifft insbesondere die Vorgaben des § 17. Werden diese nicht oder nicht mehr eingehalten, so ist das Ermittlungsverfahren wieder aufzunehmen. Dies dürfte insbesondere der Fall sein, wenn die eingegangene Verpflichtung zur Zusammenarbeit verletztwurde, die zur Verfügung gestellten Unterlagen und (Zwischen-)Informationen falsch waren, keinen wesentlichen Beitrag zur Aufklärung zu liefern vermochten, nur zur Verschleierung der eigenen Tätigkeit gegeben wurden oder die Arbeitnehmerschutzrechte und die entsprechenden Hinweispflichten nicht hinreichend beachtet wurden.“ (BT-Drs. 19/23568, S. 99. Hervorhebung hier)
Die Bundesregierung geht offenbar davon aus, dass die Staatsanwaltschaft zugleich untätig ist und aktiv die Korrektheit von Zwischeninformationen überprüft.
Besondere Brisanz aufgrund von Verjährungsregelungen
All dies mag für sich genommen als reines Kuriosum eingestuft werden. Rechtlich hochbedenklich ist dieses Regelungsgefüge allerdings aufgrund des weiteren Zusammenspiels mit der geplanten Verjährungsregelung des § 21 Abs. 2 Nr. 3 VerSanG-E. Diese Vorschrift postuliert, dass für den Fall, dass die Staatsanwaltschaft nach § 41 VerSanG-E vorübergehend von der Verfolgung absieht, die Verfolgungsverjährung ruht. Ein derartiges Ruhen der Verjährung kann ersichtlich nur dann gerechtfertigt sein, wenn die Staatsanwaltschaft aufgrund der Entscheidung nach § 41 Abs. 1 S. 1 VerSanG-E auch tatsächlich zur Untätigkeit verdammt ist.
Da dies offensichtlich nicht gewollt ist, sollte der Gesetzgeber die Regelung des § 21 Abs. 2 Nr. 3 VerSanG-E streichen. Dies dürfte sich in der Praxis bereits deshalb empfehlen, weil kaum sichergestellt werden kann, dass Polizei und Staatsanwaltschaft auch im Falle einer Entscheidung nach § 41 Abs. 1 S. 1 VerSanG-E tatsächlich die Füße stillhalten und jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen.
In der strukturell ähnlich konzipierten Vorschrift des § 154f StPO ist ein vorübergehendes Absehen von der Strafverfolgung erst für den Fall vorgesehen, dass die Ermittlungsbehörden den Sachverhalt weitestgehend ausermittelt haben. Insoweit fehlt es dann auch an Anreizen die Aufklärungsarbeit fortzuführen. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber bei § 154f StPO bewusst darauf verzichtet, ein Ruhen der Verjährung bei der staatsanwaltlichen Einstellung anzuordnen (vgl. vgl. BT-Drs. 16/12098, 22).
Der Gesetzgeber sollte aus den oben genannten Gründen ferner davon Abstand nehmen, die geplante Änderung des § 78b StGB vorzunehmen, die bei einer Entscheidung nach § 41 Abs. 1 S. 1 VerSanG-E auch ein Ruhen der Verjährung hinsichtlich des Individualbeschuldigten vorsieht (BT-Drs. 19/23568, S. 36). Diese geplante Erweiterung ist zudem auch deshalb problematisch, weil der Beschuldigte – anders als bei § 21 Abs. 2 Nr. 3 VerSanG-E – im Regelfall keinerlei Einfluss auf die Entscheidung für ein Vorgehen nach § 41 VerSanG-E nehmen kann, von dieser nicht einmal Kenntnis haben muss und – anders als der Verband – auch nicht unmittelbar von einer Verlagerung der Ermittlungstätigkeit profitiert.
Kurzum: Die geplanten Verjährungsregelungen bedürfen einer kritischen Reflektion und Korrektur im Gesetzgebungsverfahren.