Stille Verteidigung: Ist Schweigen Gold?

Schweigen ist das Recht jeder Person, die durch unseren Staat mit Vorwürfen, strafrechtlich oder auch nur im Ordnungswidrigkeitenrecht, konfrontiert wird. Erstaunlich, dass dieses Recht in der Praxis selten genutzt wird. Ich persönlich glaube nicht, dass die meisten Menschen nicht wissen, dass sie in solchen Situationen nichts sagen müssen. Warum also machen dann so wenige Menschen von ihrem grundgesetzlich garantierten Recht Gebrauch?

Psychologie und Sozialisierung

Die Antwort ist Psychologie, Menschen haben grundsätzlich einen Reflex, auf Fragen zu antworten. Die Verweigerung einer Antwort im sozialen Kontext wird als unhöflich angesehen. Stärker wirken allerdings noch andere Faktoren:

  • Betroffene sind zumeist der Auffassung, dass sie die unangenehme Situation der Konfrontation mit einem Vorwurf durch eigene Erklärungen ohne weiteres beseitigen können. Das trifft besonders auf Menschen zu, die kraft ihrer Ausbildung und sozialen Stellung gewohnt sind, Probleme mit Worten zu behandeln und zu beseitigen (siehe auch – der Arzt als Mandant). Ihnen kommt nicht in den Sinn, dass sie sich in einem Gebiet befinden, dass nach anderen Regeln als in der von ihnen gewohnte Kommunikation funktioniert.
  • Die Situation zwischen Befragten und Befrager ist diejenige von Unter- und Überordnung. Wer das Recht hat zu fragen, repräsentiert Macht und staatliche Gewalt. So jemand durch Verweigerung einer Antwort zu verärgern, erscheint den Meisten untunlich bis gefährlich. Es ist in der Praxis der Verteidigung häufig verblüffend, wie sonst selbstbewusste Menschen sich unterwerfen.

Ist es denn so schlimm, zu antworten? In den meisten Fällen aus Sicht der Verteidigung ja.

Strategie von Verfolgungsbehörden

Verfolgungsbehörden nutzen den Überraschungsmoment. Wer unverhofft mit Vorwürfen konfrontiert wird, wird schon aus Überraschung eher die Wahrheit sagen als jemand, der Fragen reiflich überlegen kann. Nicht umsonst kennen Kriminalisten die 48-Stunden Regel. Sie sagt, dass Fälle, die nicht innerhalb von 48 Stunden aufgeklärt sind, 48 Wochen oder 48 Monate dauern. Wenn man also als Ermittlerin mit nach der Rechtsprechung zulässigem Druck und zulässiger List in den ersten Stunden nicht zurechtkommt, hat man viel Arbeit vor sich. Meine Erfahrungen und diejenige von vielen in der Verteidigung Tätigen sind diametral anders. Aus der Drucksituation heraus wird das geschildert, was die Betroffenen meinen, was ihr Gegenüber hören will. Sie tun alles, um diese furchtbare Situation zu beenden. Falsche Geständnisse entstehen so aus dem Bedürfnis, sich der als unerträglich empfundenen Situation zumindest kurzzeitig zu befreien. Aber soweit muss man nicht gehen.

Wer fragt, hat die Antwort im Sinn

Verfolgungsbehörden haben, bei allem Respekt vor der gesetzlichen Anforderung, auch für Beschuldigte zu ermitteln, Verfolgung im Sinn. Es geht also um Überführung. Die Fragen sind so ausgerichtet, dass sie das Verständnis des Befragenden, wie wahrscheinlich die Antwort sein wird, in sich trägt. Damit sind die Antworten vorgeprägt. Und nicht nur die Antworten selbst, sondern auch das Verständnis der Antworten. Solange es in Deutschland nicht Vorschrift ist, Vernehmungen akustisch oder visuell aufzunehmen, sind Antworten und deren Prägung durch den protokollierenden Ermittler im Nachhinein nicht mehr korrigierbar.

Oft habe ich in der Praxis erlebt, dass beim Lesen der ersten, nicht durch Verteidigung begleiteten Vernehmung, der Betroffene fassungslos ist. Er ist regelmäßig zutiefst irritiert darüber, was er gesagt haben soll. Und oft sagen die Betroffenen Dinge, von denen sie im ersten Moment glauben, dass sie sie entlasten. Aber das ist oft ein Trugschluss und führt vielfach zum Gegenteil. Dass auch im Krimiserien wie „Tatort“ beliebte falsche Alibi kehrt sich gegen die Aussagenden, weil deren Glaubwürdigkeit damit beschädigt ist.

Reden oder schweigen – Entscheidung im Sinne des Mandanten

Meine Konsequenz aus diesen Erfahrungen ist, Mandantinnen nur dann reden zu lassen, wenn ich weiß, dass sie das auch können. Selbst im Beisein von Verteidigerinnen ist zu beobachten, dass dasjenige, was plausibel im internen Gespräch herüberkam, im Rahmen einer Vernehmung nicht transportiert werden kann. Zudem: Bis zum letzten Tag eines Verfahrens ist niemand verpflichtet, mündlich eine Aussage zur Sache zu machen. Die Möglichkeit einer Verteidigungsschrift im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens ist immer gegeben. Die Gefahr, dass in deren Rahmen ein Sachverhalt zulasten des Mandanten geschildert wird, ist gering.

Vielfach werde ich als Verteidiger im privaten Umfeld damit konfrontiert, dass derjenige, der schweigt, etwas zu verbergen habe. Die kluge gesetzliche Regelung des Schweigerechtes wird dann in ihr Gegenteil verkehrt. Auch im Strafverfahren agieren Menschen. Allerdings gibt es ein Gegenargument zum Verdacht beim Schweigen: Es ist oft zu erleben, dass die Unsicherheit und die Versuche von Angeklagten, sich zu entschulden, erst die Überzeugung der Richter von deren Schuld begründen. Zweifel an der Schuld eines Menschen können leichter bestehen, wenn dieser sich durch sein Verhalten und seine prozessuale Ungeschicklichkeit nicht selbst belastet.

Final

Das Schweigen brechen, kann man im Strafprozess jederzeit. Kluge Verteidigung wird den Moment erkennen, ob und wann dies erforderlich ist. Die Chancen, die im Schweigen liegen, darf man in der Strafverteidigung nicht liegen lassen.

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