Schöffen – Rolle ohne Einfluss?
In Strafsachen geht es für die Angeklagten um viel, wenn nicht um alles. Ruf, Geld und Freiheit kann verloren gehen. Ihnen sitzen Berufsrichter gegenüber und in fast allen wichtigeren Verfahren jenseits des Einzelrichters am Amtsgericht – Schöffinnen und Schöffen. Das „Laienelement“ in der Strafjustiz.
Das Bindeglied zwischen Richtern, Beteiligten vor Gericht und Volk?
Eine Broschüre des Landgerichtes Düsseldorf beschreibt ihre Rolle so:
Sie sind ein wichtiges Bindeglied zwischen den Berufsrichterinnen und Berufsrichtern, den Beteiligten vor Gericht und der Bevölkerung. Die ehrenamtlichen Richterinnen und Richter bringen ihre Lebenserfahrung und vor allem ihre außergerichtliche Perspektive in die Entscheidungsprozesse bei Gericht ein und gestalten so den Rechtsstaat mit. Damit helfen sie, das Vertrauen der Allgemeinheit in die Justiz zu stärken.
Ist dieses Vertrauen gerechtfertigt? Ist die Stimme der Schöffen wirklich gewichtig? Von der reinen Mathematik her gesehen schon. Gegen die Stimmen der Schöffen kann eine Verurteilung nicht erfolgen. Das deutsche Recht schreibt vor, dass in einem Richtergremium – und Schöffen sind der Funktion nach Richter – 2/3 der Richter für ein Urteil, sei es Freispruch oder Verurteilung, stimmen müssen. Bei der großen Strafkammer beispielsweise, die üblicherweise mit drei Berufsrichtern und zwei Schöffen besetzt ist, haben die Schöffen 40 Prozent und die Berufsrichter 60 Prozent der Stimmen. Damit die Berufsrichter sich durchsetzen können, fehlen ihnen für die bei Strafkammern erforderliche Zweidrittelmehrheit mathematisch 6 Prozent. So gut und ausgewogen das klingt, die Realität nach meiner Erfahrung ist eine andere.
Kommen Schöffen zu Wort?
Das zeigt sich schon in der Mehrzahl der Hauptverhandlungen mit Schöffenbeteiligung. Die Befragung von Prozessbeteiligten dominiert der Vorsitzende Richter. Erst nach ihm kommen andere zu Wort. Üblicherweise fragt er erst seine Richterkollegen, ob Sie noch Fragen haben und danach die Schöffen. Kommen von den Richtern schon einmal Fragen, so ist dies bei Schöffen eher die Ausnahme. Das trifft insbesondere auf Verhandlungen vor dem Amtsgericht als Schöffengericht zu, an dem Richter meist überlastet sind und deren Bemühen, kompakt und schnell zu einem Urteil zu kommen, oft mit den Händen zu greifen ist. In diesen Fällen ist klar, dass der/die Vorsitzende nicht nur qua Gesetz die Verfahrensleitung hat, sondern auch faktisch die Deutungshoheit.
Kritische Sicht oder einfach Realität?
Man könnte mir entgegenhalten, das sei die absolut einseitige Sicht eines Verteidigers, der Richtern grundsätzlich gegenüber kritisch bis misstrauisch ist. Nun, kritisch bin ich, aber grundsätzlich misstrauisch nicht. Dazu kenne ich zu viele Richter, die sich redlich um Objektivität bemühen, auch wenn dies nach der Struktur unserer Strafverfahren psychologisch schwer möglich ist.
Meine Erfahrung leitet sich aus der Teilnahme mehrerer Familienmitglieder am Schöffenamt ab. Auch Verwandte und Verschwägerte von Juristinnen und Juristen lassen sich manchmal vom Schöffenamt nicht abhalten und können dann aus ihrer persönlichen Erfahrung berichten. Diese Berichte – ohne Verletzung des Beratungsgeheimnisses – haben mich dazu gebracht, das Gewicht der Schöffen in der Justiz als eher gering anzusehen.
Dominante Berufsrichter – schweigende Schöffen
Auf dem Berufsrichterstuhl wird Kritik an der eigenen Wahrnehmung eines Verfahrens wohl nicht besonders gern gesehen. Und diese Kritik lässt sich in der Beratung, die geheim ist, mit dem psychologischen Übergewicht aus Erfahrung und unterstellter Kompetenz der Berufsrichter leicht übergehen. Sich gegen die Autorität eines erfahrenen Richters auszusprechen, ist unendlich schwierig. Zwar gibt das Gesetz den Schöffen mathematisch das gleiche Gewicht wie den Berufsrichtern, aber als Laie sich gegen den erfahrenen Spezialisten zu wenden, erfordert eine ganze Menge an Selbstbewusstsein. Das kann man nicht bei jedem „einfachen Bürger“ voraussetzen. Ich habe in meiner über 40-jährigen Zeit als Verteidiger nur ein einziges Mal wahrgenommen, dass in einem auf die Bewährungsfrage beschränkten Berufungsverfahren mit einem Richter und zwei Schöffen diese gegen den Richter für eine Bewährung gestimmt haben. Zwei grinsende Schöffen und ein Richter, normalerweise Vorsitzender einer großen Strafkammer, der die Akte beim Verlassen des Beratungszimmers fünf Meter weit auf die Richterbank pfefferte, gehört, obwohl lange her, immer noch zu den Highlights meines Berufslebens.
Schöffen und Verteidiger
Als Verteidiger sehe ich es als meine Aufgabe, die Schöffen ernst zu nehmen und ihnen dieses Gefühl auch zu vermitteln. Das stärkt sie in ihrer Rolle und macht sie aufmerksam für die kleineren Details des Verfahrens und offener für die Argumente der Verteidigung. Die Meinung und Wahrnehmung eines Richters zu hinterfragen, fällt leichter, wenn man als Schöffe durch die Verteidigung ernst genommen wird.