Kriminelle Webshops endlich strafbar?
Zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Strafbarkeit des Betreibens krimineller Handelsplattformen im Internet (BT-DrS. 19/28175 vom 01.04.2021)
Worum geht es im Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Pönalisierung krimineller Handelsplattformen? Die amtliche Begründung zum Entwurf erinnert daran, dass auf kriminellen Plattformen nicht nur Menschenhandel stattfindet, sondern auch Betäubungsmittel, Waffen, Falschgeld, gefälschte Ausweise und gestohlene Kreditkartendaten angeboten werden, ebenso Kinderpornografie (BT-DrS. 19/28175, S.1). Der als § 127 StGB-E zur parlamentarischen Diskussion gestellte Straftatbestand des Betreibens krimineller Handelsplattformen im Internet und des Bereitstellens von Server-Infrastrukturen soll dagegen Abhilfe schaffen, was grundsätzlich sehr unterstützenswert erscheint. Wenn durch das Handeln des Betreibers der Handelsplattform absichtlich oder wissentlich Verbrechen ermöglicht oder gefördert werden, soll dies sogar selbst als Verbrechen mit Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren geahndet werden (§ 127 Abs. 4 StGB-E).
Die Entwurfsbegründung führt – ohne Überraschung – ebenfalls grundlegend weiter aus, dass schon das geltende Strafrecht grundsätzlich geeignet ist, Fälle des Handels mit Menschen sowie verbotenen Waren und Dienstleistungen angemessen zu pönalisieren (BT-DrS. 19/28175, S.1). Das werde durch entsprechende grundlegende strafrechtliche Vorschriften (zum Beispiel den Straftatbestand des Menschenhandels) sowie spezialgesetzliche Verbote des Handels mit bestimmten Waren sichergestellt.
Selbst auf anerkannten Plattformen mit rechtmäßigem Geschäftsmodell werden irgendwann Straftaten begangen, die auch ein sorgfältiger Betreiber nicht erkennen und verhindern kann. Der Gesetzgeber will diese jedoch nicht der Bestrafung aussetzen, wie bei Lektüre des Gesetzentwurfs schnell deutlich wird, sondern sie aus dem Anwendungsbereich des § 127 StGB-E sogar schon tatbestandlich ausnehmen, da § 127 StGB-E an eine kriminelle Zweckausrichtung der Plattform anknüpfe, nämlich den Zweck der Ermöglichung oder Förderung bestimmter Straftaten (Regierungsentwurf, Seite 14).
Das vorsätzliche Hilfeleisten zu kriminellen Taten im Internet ist zweifelsohne ebenso strafbar als Beihilfe im Rahmen des § 27 StGB. Liegt dagegen kein Vorsatz auf Unterstützung einer Straftat vor, kann grundsätzlich auch kein Interesse an Bestrafung gegeben sein – das gewährleisten die derzeit geltenden allgemeinen Regeln des Strafrechts. Beihilfe kann schon begehen, wer dem Täter ein entscheidendes Tatmittel willentlich an die Hand gibt und damit bewusst das Risiko erhöht, das eine durch den Einsatz gerade dieses Mittels typischerweise geförderte Haupttat verübt wird (BGH, Urteil vom 18.04.1996, 1 StR 14/96, juris, Rn. 12). Erfassen diese Regeln Internet-Plattformen ausreichend, oder ist dies nicht der Fall? Oder sind die allgemeinen strafrechtlichen Zurechnungsregeln im Internet-Zeitalter überarbeitungsbedürftig geworden?
Allgemein anerkannt haben die Gerichte auch ohne Strafrechtsänderung schon, dass berufstypische, an sich neutrale Handlungen stets ihren legalen „Alltagscharakter“ verlieren, wenn das Handeln des Haupttäters auf die Begehung einer strafbaren Handlung abzielt und der Hilfeleistende dies positiv weiß (BGHSt 46, 107, per Juris, Rn. 16; s. auch Fischer, Strafgesetzbuch, Kommentar, § 27 Rn. 18a). Hält der professionell Handelnde es dagegen nur für möglich, handelt also mit bedingtem Vorsatz, liege nach der Rechtsprechung keine Beihilfe vor, wenn der Betreffende wegen des Alltagscharakters seines Handelns auf die Legalität fremden Handelns vertrauen durfte (Fischer, Strafgesetzbuch, Kommentar, § 27 Rn. 18b, mit Nachweisen). Wie sich aus der ob inhaltlich wiedergegebenen Entwurfsbegründung ergibt, will die Bundesregierung dies auch nicht grundsätzlich antasten.
Die Entwurfsverfasser sind dennoch überzeugt, eine „Strafbarkeitslücke“ zu schließen:
In den Fällen, in denen eine Handelsplattform vollautomatisiert betrieben werde, könne nicht jeder Sachverhalt erfasst werden (amtliche Begründung, BT-DrS. 19/28175, S. 8). Dies gelte insbesondere dann, wenn die plattformbetreibende Person durch die Vollautomatisierung keine Kenntnis davon nehmen muss, welche konkreten Waren oder Dienstleistungen auf der Plattform gehandelt werden, obschon diese auf den Handel von inkriminierten Waren und Dienstleistungen ausgerichtet ist. In diesen Fällen seien auch die Regelungen zur Beihilfe nicht ausreichend, da sie eine Kenntnis der Haupttat, zumindest in ihren wesentlichen Merkmalen, voraussetzen (die Bundesregierung zitiert BGHSt 46, 107, bei juris Rn. 8; hierzu sogleich unten). Daneben sei auch eine Zurechnung von Einzeltaten im Zuge einer bandenmäßigen Tatbegehung nicht immer möglich, da solche Plattformen nicht notwendigerweise von mehr als einer oder zwei Personen betrieben werden müssen. Insoweit sei die bisherige strafrechtliche Konstruktion von Täterschaft und Teilnahme nicht immer geeignet, moderne Formen der Kriminalität insbesondere im Bereich des Internets angemessen zu erfassen.
In der im Regierungsentwurf zitierten Entscheidung BGHSt 46, 107, äußerte sich der Bundesgerichtshof zur Beihilfestrafbarkeit von Bankangestellten beim Kapitaltransfer ins Ausland, also zum Fall berufstypischer „neutraler“ Handlungen. Eine Strafbarkeitslücke offenbarte der genannte Beschluss vom 01.08.2000 jedoch gerade nicht. Der angeklagte Bankangestellte wusste zwar nichts von den Steuerhinterziehungsplänen seiner Kunden. Er konnte sich nach den Tatsachenfeststellungen sogar fernliegende legitime Gründe für einen verschleierten Transfer von Geld ins Ausland vorstellen, die beabsichtigte Steuerhinterziehung sei allerdings das nächstliegende Motiv gewesen. Damit sah der Bundesgerichtshof genug Raum für die Annahme einer strafbaren Beihilfe, die auch lediglich einen bedingten Vorsatz hinsichtlich der Haupttat erfordert. Wer einen Webshop einrichtet, der – Zitat der amtlichen Begründung des Gesetzentwurfs, S. 8, vorletzter Absatz: „auf den Handel von inkriminierten Waren und Dienstleistungen ausgerichtet ist“, dürfte sehr wohl dieses Maß an subjektiver Gewissheit erlangt haben, wenn er akzeptiert, dass ein Kunde bei ihm Geschäfte betreibt. Die grundsätzliche Notwendigkeit der Feststellung der subjektiven Tatseite der Beihilfe sollte dagegen auch nicht im Internet entfallen.
Das zweite Argument, welches den neuen Tatbestand erforderlich mache – die Zurechnung von Einzeltaten im Rahmen einer bandenmäßigen Begehung ohne Feststellung der dafür erforderlichen Bande – kann genau so wenig überzeugen. Wenn eine Bande nicht vorhanden ist oder nicht nachweisbar ist, sollte auch eine Bestrafung für dieses nicht vorhandene oder nicht nachweisbare Unrecht nicht stattfinden – ob im Internet oder anderswo.
So recht scheint die Bundesregierung auch selbst nicht an eine signifikante „Strafbarkeitslücke“ glauben zu wollen, wenn sie in der Entwurfsbegründung ausführt, die Anzahl der Ermittlungsverfahren werde voraussichtlich nicht signifikant steigen, da bei den kriminellen Handelsplattformen in vielen Fällen schon nach geltendem Recht (insbesondere wegen des Verdachts der Teilnahme an einer der in § 127 Absatz 1 Satz 3 StGB-E genannten Taten) zu ermitteln sei (Begründung, Seite 11, letzter Absatz). Aufgrund der „maßvollen Ausdehnung“ der strafrechtlichen Verantwortlichkeit sei auch lediglich mit einem leichten Anstieg der Anzahl eröffneter Hauptverfahren zu rechnen. Dem dürfte nichts entgegenzusetzen sein, außer der Frage, ob es dann eines solchen – doch wohl eher symbolischen Paragrafen – bedarf. Wenn an anderer Stelle der Entwurfsbegründung ein dringender Bedarf der Ergänzung der strafrechtlichen Regelungen geltend gemacht wird, da die Anzahl krimineller Handelsplattformen zunimmt und angesichts der erheblichen Bedeutung solcher Plattformen beim Handel mit inkriminierten Waren und Dienstleistungen nicht hingenommen werden kann, dass ihre Betreiber sich nicht strafbar machen oder eine effektive Strafverfolgung nicht möglich ist (Begründung, Seite 9), so erscheint das doch widersprüchlich.
Es bleibt zu fragen, worin der Gewinn dieser neuen Vorschrift neben den beiden Argumenten der nicht ausreichenden Reichweite der Beihilfestrafbarkeit und der angeblichen Untauglichkeit der geltenden Regeln der Zurechnung bei bandenmäßiger Begehung besteht. Die Stellungnahme des Deutschen Richterbundes Nr. 1/21 aus Januar 2021 gibt hier vorsichtige Hinweise zum Verständnis:
Soweit der Gesetzentwurf den Ermittlungsbehörden neben der materiellen Entwurfs-Strafvorschrift weitergehende Ermittlungsbefugnisse an die Hand gebe, sei dies zu begrüßen. Der notwendigen Erfüllung des Gebotes, beim Verdacht verfolgbarer Straftaten einzuschreiten (§ 152 Abs. 2 StPO für die Staatsanwaltschaft, siehe § 163 Abs. 1 S. 1 StPO für die Polizei) wird man damit quantitativ nur wenig näherkommen. Zu Recht betont der Deutsche Richterbund in der zitierten Stellungnahme, dass allein mit der Schaffung eines neuen Straftatbestandes und der punktuellen Erweiterung von Ermittlungsmöglichkeiten die Bekämpfung krimineller Plattformen im Internet nicht gelingen kann, da die Strafjustiz auch jetzt schon an ihrer Belastungsgrenze arbeitet. Ob deren Arbeit überhaupt erleichtert wird, sollte vor Schaffung dieser zusätzlichen Strafnorm nochmals hinterfragt werden. Denn wie kann der Verdacht des Betreibens einer kriminellen Internetplattform oder der Zurverfügungstellung entsprechender Infrastruktur begründet werden, wenn nicht zumindest der Verdacht einer einzigen der zahlreichen strafbaren Handlungen objektiv nachweisbar ist, der vorliegen muss, um die durch § 127 StGB-E eröffneten Befugnisse nutzen zu können? Ist der Verdacht einer schweren Straftat jedoch im Einzelfall gegeben, bedürfte es keiner neuen Strafnorm, um im Rahmen bestehender Aufgaben und Befugnisse einzuschreiten. Dass sich eine strafprozessuale Ermittlungsmaßnahme sogar gegen einen Dritten richten darf, der (noch) nicht der Beihilfe oder gar Täterschaft (auch nach § 129 StGB, Bildung einer kriminellen Vereinigung) beschuldigt wird, macht sie weder bei Maßnahmen nach § 100a (Telekommunikationsüberwachung), noch bei § 100b (Online-Durchsuchung), noch bei § 100g StPO (Erhebung von Verkehrsdaten) grundsätzlich unzulässig. So kann sich die Anordnung einer Telekommunikationsüberwachung nach § 100a Abs. 3 StPO nicht nur gegen den Beschuldigten richten, sondern auch gegen Personen, von denen auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sie für den Beschuldigten bestimmte oder von ihm herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben oder dass der Beschuldigte ihren Anschluss oder ihr informationstechnisches System benutzt. Ein Straftatverdacht gegen den Betreiber eines Webshops, bei dem es sich in der Regel auch um ein informationstechnisches System handeln wird (vgl. zum Begriff: BVerfG, Urteil vom 27.02.2008 – 1 BvR 370/07, juris, insbesondere Rn. 4), ist damit nicht erforderlich, um auch einschneidende Ermittlungsmaßnahmen durchführen zu können. Auch die Online-Durchsuchung darf sich nach § 100b Abs. 3 StPO gegen unverdächtige Dritte richten, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass der zu überwachende Beschuldigte informationstechnische Systeme dieser anderen Person benutzt und die Durchführung des Eingriffs gegen den Beschuldigten allein nicht zur Erforschung des Sachverhalts oder zur Ermittlung des Aufenthaltsortes eines Mitbeschuldigten führen wird. Ferner darf die Maßnahme auch dann durchgeführt werden, wenn andere Personen unvermeidbar betroffen werden (§ 100b Abs. 3 S. 2 StPO). Auch bei der Erhebung von Verkehrsdaten nach § 100g StPO ist eine Anordnung gegen unverdächtige Dritte nicht ausgeschlossen, wie der Verweis über § 101a Abs. 1 StPO in § 100a Abs. 3 StPO zeigt. Soweit der Kreis der Anlasstaten der drei betroffenen Überwachungsmaßnahmen letztlich faktisch modifiziert wird, bedürfte es dafür ebenso keines neuen Straftatbestandes, sondern lediglich einer entsprechenden Änderung der Anordnungsvoraussetzungen dieser strafprozessualen Überwachungsmittel.
Es ist daher zu bezweifeln, dass § 127 StGB-E den Strafverfolgern die Verdachtsermittlung im Bereich der Internetkriminalität oder den Gerichten die erforderliche tatsachenbasierte Begründung von grundrechtstangierenden Ermittlungsmaßnahmen wesentlich erleichtern kann. Die zu schließenden Strafbarkeitslücken erscheinen selbst in Ansehung der die Entwurfsnorm rechtfertigenden Begründung der Bundesregierung nicht wesentlich, § 127 StGB-E scheint eher symbolisch, es ist zweifelhaft, dass für einen solchen Straftatbestand ein Bedarf besteht.