Justizminister kontra Verbandssanktionengesetz
Kritische Stimmen gegenüber dem Verbandssanktionengesetz gibt es reichlich. Auch in diesem Blog sind schon einige zu Wort gekommen. Sie stammen allerdings zumeist aus der Wissenschaft und der Anwaltschaft. Dass Peter Biesenbach als Minister der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen in freundlich moderaten Worten einen Generalangriff auf ein Regierungsprojekt (vgl. FAZ vom 28. August 2020) startet, ist einen Kommentar wert.
Der Minister hat zentral mehrere Kritikpunkte:
- Unternehmensverantwortung und individuelle Schuld sind derart unterschiedlich, dass man sie nicht gleich behandeln kann.
- Der vom Gesetz vorgesehene Verfolgungszwang überlastete einerseits die Ermittlungsbehörden und führe andererseits zu Verfolgung von Straftaten, die mit Unternehmensverantwortung wenig zu tun hätten.
- Die Rechnung für individuelles Fehlverhalten zahlten dann letztendlich nicht die Straftäter, sondern die Aktionäre und Anteilseigner – oder eine Versicherung.
„Unternehmenskriminalität“ nicht ohne Strafbarkeit des Menschen
Die Frage, ob Unternehmen Schuld auf sich nehmen können, begleitet die Diskussion über ein auf Unternehmen gerichtete Sanktionsrecht seit dem ersten Tag. Die etwas hilflose erneuerte Wortwahl des Gesetzesentwurfs, wo zwar im Text immer noch von „Unternehmenskriminalität“ die Rede ist, die Überschrift das Wort „Unternehmensstrafrecht“ allerdings meidet wie der Teufel das Weihwasser, belegt, dass diese Diskussion noch lange nicht zu Ende ist, aber durch Wortwahl verkleistert werden soll.
Richtig ist sicher, dass es zur Kriminalität neigende Menschen gibt. Kriminalität im Unternehmensbereich wird allerdings erst durch solche Menschen hervorgerufen. Also: Ohne die Strafbarkeit eines Menschen gibt es kein zu sanktionierendes Unternehmen. Dies ist dem Minister ohne weiteres zuzugestehen. Kann die Konsequenz dann sein, Unternehmen aus jeglicher Konsequenz von Fehlverhalten ihrer Mitglieder auszunehmen? Ich meine nein. Ich finde aber bereits in der jetzigen Gesetzeslage jede Möglichkeit, Unternehmen den Vorteil wieder wegzunehmen, den sie aus strafbaren Handlungen von Mitarbeitern oder Sonstigen gezogen hat.
Schon nach altem Recht gibt es über das Ordnungswidrigkeitenrecht und das Strafrecht die Möglichkeit, zu Unrecht Erlangtes einem Unternehmen zu entziehen. Die Paragraphen 17 ff OwiG und § 73b StGB geben den Verfolgungsbehörden und Gerichten schon jetzt jegliche Möglichkeit und Handhabe, ungerechtfertigte Gewinne und Erträge auch über den unmittelbaren finanziellen Aspekt hinaus zu konfiszieren.
Zwingende Einziehung macht Legalitätsprinzip obsolet
Der nunmehr seit dem 1. Juli 2017 zwingende Charakter der Einziehung macht es auch praktisch obsolet, das Legalitätsprinzip einzuführen. Die Verfolgungsbehörden sind nunmehr zwingend gehalten, auch Drittgewinne zu erfassen und einzuziehen. Wenn eine Straftat eines Einzelnen mit Bezug zum Unternehmen vorliegt, schreibt der gesetzliche Verfolgungszwang des § 160 StPO vor, dass ermittelt und verfolgt wird. Stellt sich dabei heraus, dass Erträge der Tat bei Dritten – also hier dem Unternehmen – entstanden oder angelangt sind, ist wiederum zwingend die Einziehung anzuordnen. Gewendet auf das Gesetzesvorhaben: Warum Verfolgungszwang einführen, wenn er im Effekt schon vorhanden ist? Und damit einen unnötigen Aufwand schaffen, der Staatsanwaltschaften und Gerichte ohne Nutzen belastet?
Das für mich einstmals wesentliche Argument für ein Unternehmensstrafrecht, die Ungleichbehandlung nach geografischen Schwerpunkten, ist durch die Neuregelung der Einziehung entkräftet. Über Bußgeldhöhen kann man immer noch sprechen, das ist ein Federstrich des Gesetzgebers.
„Beifang“ belastet das System
Die Argumentation von Biesenbach, dass nach der jetzigen Fassung des Entwurfes eine Unzahl von Fahrlässigkeitstaten und kleinkrimineller Vorgängen als „Beifang“ das System belasten würden, ist zusätzlich richtig. Anlass und Zielrichtung des Gesetzes soll erkennbar sein, die aus Sicht der Verfasser verselbständigte und kontrolllose Macht von Großfirmen und der davon ausgehenden Gefahr Einhalt zu gebieten. Das erscheint beim kleinen Malerbetrieb und dem eignergeführten mittelständischen Unternehmen eher nicht der Fall zu sein.
Das Ziel, Kontrollen und Strukturen herzustellen, welche die Einhaltungen gesetzlicher Vorgaben in Unternehmen unterstützen (absolut sichern geht nicht!) kann auch auf anderen Wegen erreicht werden, siehe beispielsweise § 26a KWG. Die gesetzgeberische Definition, was Compliance ist und wie sie gestaltet werden sollte, wäre ein Anfang. Das Mutterland von Compliance, die USA, kann das (§8B2.1 sentencing guidelines).
Kein Genugtuungseffekt im Unternehmensbereich
Strafrecht, allgemein Sanktionsrecht, zielt darauf ab, vergangenes Unrecht so gut wie möglich ungeschehen zu machen und zukünftiges zu vermeiden. Der Genugtuungseffekt entfällt im Unternehmensbereich. Dann fragt sich, warum die Folgen individuellen Fehlverhaltens eines Unternehmensangehörigen diejenigen treffen soll, deren einziges Fehlverhalten darin liegt, in ein Unternehmen investiert zu haben, wenn – siehe Oben – diesem unrechtmäßig Erlangtes in aller Gesamtheit entzogen wird.
Unabhängig davon, ob Schuld im moralisch-ethischen oder im strafrechtlichen Sinne einem Unternehmen zugemessen werden kann, ist die Notwendigkeit eines faktischen Unternehmensstrafrechts heute nicht mehr gegeben. Gesetzgeberische Aktionen im Bereich der Einziehung und die seit langem vorhandenen Möglichkeiten des Ordnungswidrigkeitenrechtes machen es überflüssig. Eine klare Regelung und von mir aus bußgeldbewehrte Regelung, was Compliance ist und wer in welchem Umfang Compliance braucht, wäre wirkungsvoller.
Ein Justizminister, der gegen den Strom schwimmt, hat deshalb vielleicht die richtige Richtung.