Interne Untersuchungen – Aufklärung und Beweissicherung: Teil 4: Einbindung von Anwaltskanzleien in Aufklärungsmaßnahmen
In Teil 2 der Reihe wurde die Pflicht der Unternehmensleitung zur Einleitung einer internen Untersuchung näher erläutert. Bei den anschließenden Aufklärungsmaßnahmen sind vielfältige rechtliche Besonderheiten zu beachten. Das wirft unweigerlich die Frage auf, ob Unternehmen nicht gut beraten sind, spezialisierte Anwaltskanzleien bei der internen Untersuchung einzubinden, um rechtliche Fehler zu vermeiden. Teil 4 der Reihe nimmt deshalb die Rahmenbedingungen einer solchen Einbindung genauer unter die Lupe.
I. Rolle der Anwaltskanzlei bei internen Untersuchungen
- Wann ist eine Einbeziehung sinnvoll?
Die Ausgangsfrage für die Unternehmensleitung besteht zunächst darin, ob die Einbeziehung einer Anwaltskanzlei (oder einzelner Anwälte) in die geplanten Aufklärungsmaßnahmen überhaupt sinnvoll ist. Bei dieser Entscheidung besteht ein weitreichender Einschätzungsspielraum. Für die Einbeziehung externer Rechtsberater – ggf. ergänzend auch von Steuerberatern oder Wirtschaftsprüfern – sprechen gleich mehrere Erwägungen:
- Unabhängigkeit und Ergebnisoffenheit der durchgeführten Untersuchung
- Keine persönlichen oder beruflichen Interessenkonflikte der ermittelnden Personen
- Höhere Glaubhaftigkeit der Ermittlungsergebnisse infolge der Unabhängigkeit
- Verfügbarkeit erforderlicher (Personal-)Ressourcen bei komplexen Sachverhalten
- Qualifikation der externen Ermittler/ Fehlende Inhouse-Expertise oder -Spezialisierung
- Keine Belastung von unternehmensinternen Vertrauensverhältnissen
- Schutz der eigenen Mitarbeiter vor Ermittlungen durch Kollegen
- Sicherung der Verwertbarkeit der Ermittlungsergebnisse in etwaigen Gerichtsverfahren
Meistens spricht danach viel für und wenig gegen die Einbeziehung von Anwälten als Ermittler. Einzelne Stimmen in der rechtswissenschaftlichen Literatur nehmen sogar an, dass eine „echte“ interne Untersuchung überhaupt erst vorliege, wenn „externe“ Ermittler wie bspw. Anwälte beauftragt worden sind (vgl. Fuhrmann NZG 2016, 881, 881 f.). Unabhängig davon, ob man diese Einschätzung teilt, gehört letzteres gerade in größeren Unternehmen inzwischen zum gängigen Standard. Die Beauftragung einer Anwaltskanzlei schließt freilich nicht aus, dass auch unternehmensinterne Einheiten mit Aufklärungsmaßnahmen befasst werden oder die externen Ermittler bei der Durchführung der internen Untersuchung unterstützen.
2. Was muss im Rahmen der Beauftragung geregelt werden?
Entscheidet sich die Unternehmensleitung für die Einbeziehung einer Anwaltskanzlei, müssen Untersuchungsgegenstand, – ziel und -umfang genau festgelegt werden. Gleiches gilt für die Frage einer etwaigen Kooperation mit staatlichen Ermittlungsbehörden. Zusätzlich ist klar zu bestimmen, wer Auftraggeber ist, an wen Untersuchungsergebnisse berichtet und weitergeleitet werden und wer über die Verwendung der Untersuchungsergebnisse entscheidet. Obgleich diese Punkte bereits vor Beginn der eigentlichen Untersuchung geregelt werden müssen, handelt es sich bei einer internen Untersuchung um einen dynamischen Prozess. Gegebenenfalls ist deshalb eine Anpassung der getroffenen Vereinbarung erforderlich, wenn sich die Sachlage ändert. Hinzu kommen selbstverständlich die üblichen Vereinbarungen im Rahmen eines Mandatsverhältnisses (Honorarvereinbarung etc.).
3. Welche Aufgaben können Anwaltskanzleien bei einer internen Untersuchung übernehmen?
Die beauftragten Anwälte verfügen nicht über ein weitergehendes Arsenal an Aufklärungsmaßnahmen als der Arbeitgeber selbst. Ermittlungsmaßnahmen wie z.B. Hausdurchsuchungen, Telefonüberwachungen oder Behördenanfragen stehen nur staatlichen Behörden offen und können deshalb auch von der beauftragten Anwaltskanzlei nicht zulässigerweise durchgeführt werden. Abgesehen hiervon, können aber prinzipiell alle in Teil 1 der Reihe vorgestellten Ermittlungsmaßnahmen übernommen werden. In der Praxis sind dies vor allem Dokumentenreviews, E-Mail-Screenings und Mitarbeiterinterviews. Für die technische Beweissicherung und Sichtung werden in der Regel zusätzlich forensische Dienstleister beauftragt, die Buchhaltungsdaten, E-Mail- und Chat-Verläufe nachvollziehen und systematisch abbilden. Die rechtliche Bewertung obliegt dagegen meist der beauftragten Kanzlei.
Besondere Vorsicht ist in sensiblen Bereichen wie z.B. bei Einsicht in die Personalakte geboten. Zwar ist die Einsichtnahme durch schweigepflichtige Berufsträger, zu denen Anwälte gehören, nicht per se ausgeschlossen oder problematisch. Allerdings sind die meisten in der Personalakte enthaltenen Informationen für die Ermittlung irrelevant. Es bietet sich zum Schutz der persönlichen Daten des Arbeitnehmers deshalb an, die irrelevanten Daten durch einen Mitarbeiter der Personalabteilung vorab aussortieren oder unkenntlich machen zu lassen.
Die Aufklärungsmaßnahmen können daneben auch in den Räumlichkeiten der beauftragten Kanzlei durchgeführt werden. Wichtigstes Praxisbeispiel sind Mitarbeiterinterviews, bei denen man sich durch die neue Umgebung aussagepsychologische Vorteile verspricht, weil dadurch etwa die Ernsthaftigkeit der Situation betont werden kann.
II. Rechtliche Stellung der Anwaltskanzlei
1. Mandatsverhältnis
Der vielleicht wichtigste Grundsatz für die Anwaltskanzlei besteht darin, dass sie ihre Ermittlungsbefugnisse von ihrem Auftraggeber ableitet. Trotz der vereinbarten Unabhängigkeit der Untersuchung, bleibt die Unternehmensleitung (im Rahmen der eigenen Legalitätspflicht) deshalb „Herrin“ der internen Ermittlungen und kann aus unternehmenstaktischen Gründen die Ermittlungen beschleunigen oder notfalls beenden. Grenzen für die Arbeit der Anwaltskanzlei ergeben sich deshalb aus der getroffenen Mandatsvereinbarung und entsprechenden Weisungen der beauftragenden Unternehmensleitung.
Das Mandatsverhältnis beeinflusst aber nicht nur die Zusammenarbeit zwischen Unternehmensleitung und internen Ermittlern, sondern auch das Verhältnis letzterer zu den Unternehmensmitarbeitern. In Bezug auf arbeitsrechtliche Teilnahme- und Auskunftspflichten bei Mitarbeiterinterviews treten die Rechtsanwälte nämlich an die Stelle des beauftragenden Arbeitgebers. Die Reichweite etwaiger Teilnahme- und Auskunftspflichten entspricht daher denjenigen gegenüber dem Arbeitgeber. Der Arbeitgeber darf in Ausübung seines Direktionsrechts deshalb seine Mitarbeiter auch anweisen, an einer Befragung durch externe Rechtsanwälte teilzunehmen. Gleichzeitig muss der Mitarbeiter Maßnahmen der Rechtsanwaltskanzlei, die nicht vom Untersuchungsauftrag der Unternehmensleitung gedeckt sind, nicht über sich ergehen lassen. Unzulässig sind selbstverständlich auch – ebenso wie beim Arbeitgeber – Einschüchterungen, um Aussagen der befragten Mitarbeiter zu erzwingen.
Für die häufig zentralen Mitarbeiterinterviews ist ergänzend klarzustellen, dass das Mandatsverhältnis nicht zwischen beauftragter Rechtsanwaltskanzlei und befragtem Mitarbeiter zustande kommt. Dieser Umstand hat gravierende Auswirkungen auf Aussagen, die im Rahmen eines Interviews gegenüber den Rechtsanwälten gemacht werden. Sie unterliegen zwar grundsätzlich weiterhin der Vertraulichkeit. Allerdings steht diese Vertraulichkeit zur alleinigen Disposition des Unternehmens (als Mandant). Das Unternehmen kann auf sie gegenüber staatlichen Ermittlungsbehörden deshalb auch verzichten. Hierauf sollte vor Beginn der Befragung ausdrücklich hingewiesen werden, um Missverständnisse und Irrtümer zu vermeiden.
2. Datenschutzrecht
Aus datenschutzrechtlicher Perspektive übernimmt die Anwaltskanzlei regelmäßig die Rolle eines sog. Auftragsverarbeiters gem. Art. 28 DSGVO. Damit treffen sie die datenschutzrechtlichen Pflichten nur eingeschränkt. Ein Auftragsverarbeiter verarbeitet die persönlichen Daten auf Weisung des Hauptverantwortlichen (hier also des Unternehmens). Letzterer legt Gegenstand, Dauer sowie Art und Zweck der Verarbeitung fest. Ob die Kanzlei selbst verantwortlich ist oder „nur“ Auftragsverarbeiter ist, hängt maßgeblich von den Vorgaben und der Ausgestaltung des konkreten Mandatsverhältnisses ab. Überschreitet die Anwaltskanzlei die Grenzen der Auftragsverarbeitung (z.B. durch eine eigenständige Zwecksetzung für die verarbeiteten Daten), trifft sie die datenschutzrechtliche Verantwortlichkeit gem. Art. 28 Abs. 10 DSGVO mit den daraus folgenden strengeren datenschutzrechtlichen Pflichten.
Auch wenn die Kanzlei lediglich Auftragsverarbeiter ist, muss sie hinreichende Garantien dafür bieten, dass die Datenverarbeitung DSGVO-konform erfolgt und die Rechte der betroffenen Personen gewährleistet werden. Diese Garantieren erfordern geeignete technische und organisatorische Maßnahmen. Zu den datenschutzrechtlichen Besonderheiten einzelner Aufklärungsmaßnahmen siehe bereits Teil 2 der Reihe.
3. Strafrecht
Das Strafrecht beeinflusst die Rechtsstellung der Anwaltskanzlei ebenfalls nicht unerheblich. Als private Ermittler können sie keine Sonderbefugnisse in Anspruch nehmen und sind an die gesetzlichen Gebote und Verbote gebunden. Missachtet die beauftragte Rechtsanwaltskanzlei im Rahmen der ihr übertragenen Aufklärungsmaßnahmen die gesetzlichen Bestimmungen, kommt eine Strafbarkeit unter anderem nach dem §§ 123, 202, 202a, 203, 206, 132, 132a, 240 StGB in Betracht (hierzu bereits Teil 2 der Reihe). Hinzu kommen mögliche Strafbarkeiten als Berufsgeheimnisträger bei Verstößen gegen Pflichten aus dem Mandatsverhältnis bei Verstößen gegen datenschutzrechtliche Vorschriften (§ 42 BDSG). Die beauftragten Rechtsanwälte müssen hier besondere Sorgfalt walten lassen, weil ihnen regelmäßig kein unvermeidbarer Verbotsirrtum (§ 17 S. 2 StGB) zugestanden werden dürfte.
Zuletzt soll noch auf ein Sonderproblem hingewiesen werden, wenn Anwaltskanzleien interne Untersuchungsergebnisse auf Servern im Ausland speichern. Dies wird zum Teil deshalb für notwendig erachtet, weil das Bundesverfassungsgericht eine Beschlagnahme von Unterlagen aus einer internen Untersuchung in Deutschland gebilligt hat (Beschl. v. 27.6.2018 – Az. 2 BvR 1405/17 – Jones Day). Nach überzeugender Auffassung erfüllt das Speichern von Untersuchungsergebnissen auf im Ausland belegenen Kanzleiservern aber nicht den Tatbestand der Verletzung von Privatgeheimnissen gem. § 203 StGB oder der Strafvereitelung gem. § 258 StGB (näher hierzu Trüg/Ulrich NZWiSt 2021, 1, 2 ff.).
4. Berufsrecht
Die Einbindung von Rechtsanwälten hat den Vorteil, dass berufliche Verschwiegenheitspflichten aus § 43a Abs. 2 S. 1 BRAO eingreifen. Informationen aus einer internen Untersuchung stehen in einem funktionalen Zusammenhang mit der Berufsausübung der beteiligten Rechtsanwälte. Sie unterfallen deshalb in aller Regel der berufsrechtlichen Verschwiegenheitspflicht. Problematischer ist hingegen, ob der Rechtsanwalt in einem etwaigen Strafverfahren die Aussage über Inhalte der internen Untersuchung unter Verweis auf § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO verweigern darf. Die Rechtsprechung befasst sich bisher allein mit einem Beschlagnahmeverbot (näher hierzu: FAQ: Interne Untersuchungen – Was Arbeitgeber beachten müssen (Teil 3)), nicht aber mit der Frage des Zeugnisverweigerungsrechts. Richtigerweise ist § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO weiterhin anwendbar.
In einem staatlichen Ermittlungsverfahren müssen Rechtsanwälte deshalb nicht über den Inhalt von Mitarbeiterinterviews oder anderen Aufklärungsmaßnahmen aussagen. Dieser Gesichtspunkt dürfte ein wesentlicher Beweggrund für die Einschaltung externer Rechtsanwälte bei internen Untersuchungen sein. Soll der Rechtsanwalt trotzdem von seiner Verschwiegenheitspflicht entbunden werden, entscheidet hierüber allein das beauftragende Unternehmen. Nur in eng umgrenzten Sonderkonstellationen, in denen der intern ermittelnde Rechtsanwalt auch Beratungstätigkeiten gegenüber dem befragten Mitarbeiter übernimmt, kann eine zusätzliche Entbindung durch letzteren erforderlich sein.
Berufsrechtliche Besonderheiten ergeben sich zuletzt auch für Syndikusrechtsanwälte, die im Rahmen der internen Untersuchung (unterstützend) tätig sind. Diese dürfen gem. § 46c Abs. 2 S. 2 BRAO in Straf- oder Bußgeldverfahren, die sich gegen ihren Arbeitgeber oder dessen Mitarbeiter richten, nicht als Verteidiger oder Vertreter tätig werden. Dabei ist weitgehend unklar, ob interne Untersuchungen (vor oder nach Eröffnung eines staatlichen Ermittlungsverfahrens) dieses Verbot auslösen. Geht man davon aus, dass das Verbot nicht eingreift, unterfallen die erlangten Untersuchungsergebnisse allerdings auch nicht unter dem Zeugnisverweigerungsrecht des Syndikusrechtsanwalts gem. § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO. Dann wären sie konsequenterweise dem Zugriff der staatlichen Ermittlungsbehörden ausgesetzt. Hält man dagegen das Vertretungsverbot für einschlägig, könnten Syndikusrechtsanwälte nicht an der internen Untersuchung mitwirken. Angesichts dieser berufsrechtlich nach wie vor nicht abschließend geklärten Fragen, dürfte eine Beauftragung externer Rechtsanwälte auch unter diesem Gesichtspunkt vorzugswürdig sein.