Folgen des Verbandssanktionengesetzes für die präventive Compliance
Effektive Sanktionierung von Unternehmen einerseits und Stärkung von Compliance andererseits – wie passt das zusammen? Der folgende Blog-Beitrag zeichnet die wesentlichen Anknüpfungspunkte im Verbandssanktionengesetz (VerSanG) für die präventive Compliance nach.
Erklärtes Ziel des Verbandssanktionengesetzes (VerSanG)Was regelt das Verbandssanktionengesetz? – eine Übersicht ist es unter anderem sicherzustellen, dass Compliance-Maßnahmen bei der Unternehmenssanktionierung angemessen berücksichtigt werden. Dazu heißt es in der Gesetzesbegründung:
„Der Entwurf soll die Sanktionierung von Verbänden, deren Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, auf eine eigenständige gesetzliche Grundlage stellen, sie dem Legalitätsprinzip unterwerfen und zugleich über ein verbessertes Sanktionsinstrumentarium auch bei großen Verbänden eine angemessene Ahndung von Verbandstaten ermöglichen. Er fördert zugleich Compliance-Maßnahmen und interne Untersuchungen von Unternehmen.“ (VerSanG, Stand: 20.04.2020, S. 50)
Im Gesetz finden sich verschiedene Anknüpfungspunkte, in denen immer wieder eines der erklärten Leitmotive erkennbar wird: präventive Compliance zu stärken.
Anknüpfungspunkte für präventive Compliance im Verbandssanktionengesetz
Im Wesentlichen gibt es im Gesetzesentwurf drei Anknüpfungspunkte für den ausgerufenen Ansatz, präventive Compliance zu unterstützen:
Absehen von Verfolgung wegen Geringfügigkeit
Nach § 35 Abs. 1 VerSanG, der auf § 153 StPO verweist, kann unter bestimmten Voraussetzungen von der Verfolgung wegen Geringfügigkeit abgesehen werden. In der Begründung heißt es hierzu:
„Die Vorschrift entspricht weitgehend § 153 StPO, stellt aber nicht auf eine geringe Schuld ab. Vielmehr soll es darauf ankommen, dass die Bedeutung der Verbandstat und in den Fällen des § 3 Absatz 1 Nummer 2 auch die Schwere und das Ausmaß des Unterlassens angemessener Vorkehrungen zur Vermeidung von Verbandstaten (vgl. § 15 Absatz 1) als gering anzusehen sind. In den Fällen des § 3 Absatz 2 Nummer 2 ist ein Absehen wegen Geringfügigkeit ausgeschlossen. Bei der Einstellungsentscheidung sind alle Kriterien zu berücksichtigen, die im Rahmen der Sanktionszumessung (§ 15) relevant sein können.“ (VerSanG, Stand: 20.04.2020, S. 115, Hervorhebung hinzugefügt)
Daraus ergeben sich zwei Ansatzpunkte für eine erfolgreiche „Compliance Defense“:
- in Hinblick auf Verbandstaten von Nichtleitungspersonen nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 VerSanG, wenn die Schwere und das Unterlassen in Hinblick auf angemessene Vorkehrungen zur Vermeidung von Verbandstaten äußert gering war;
- können bei der Einstellungsentscheidung (auch in Hinblick auf Fälle von Verbandstaten von Leitungspersonen nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 VerSanG) alle Kriterien für die Sanktionsbemessung relevant sein. Gemäß § 15 Abs. 3 Nr. 7 VerSanG zählen dazu auch „nach der Verbandstat getroffene Vorkehrungen zur Vermeidung und Aufdeckung von Verbandstaten“. Dazu gleich mehr.
Auswahl der Art der Sanktion
Die Verwarnung mit Verbandssanktionsvorbehalt nach § 10 VerSanG ist vergleichbar mit der „Geldstrafe auf Bewährung“ (vgl. § 59 StGB).
Eine solche Verwarnung kann erfolgen, wenn
- zu erwarten ist, dass diese zur Vermeidung künftiger Verbandstaten ausreicht,
- die Verhängung einer Verbandsgeldsanktion bei Gesamtwürdigung der Tat und ihrer Auswirkungen aufgrund besonderer Umstände entbehrlich erscheint und
- eine Verbandsgeldsanktion nicht zur Verteidigung der Rechtsordnung geboten erscheint. Auch hier ergibt sich die Bezug zur Compliance Defense aus der Gesetzesbegründung:
„Dabei muss zu erwarten sein, dass die Verwarnung ausreichend ist, um in Zukunft Verbandstaten, für die der Verband verantwortlich ist, zu vermeiden. Dies wird insbesondere dann der Fall sein, wenn es sich um einen für den Verband untypischen Einzelfall einer Verbandstat handelt („Ausreißer“) und der Verband Maßnahmen trifft oder getroffen hat, um gleichartige Verbandstaten in Zukunft zu vermeiden, eine Einstellung nach §§ 35 ff. aber gleichwohl nicht in Betracht kommt. Durch die Norm sollen auch Anreize für Compliance-Maßnahmen sowie zur Schadenswiedergutmachung geschaffen werden (zur Berücksichtigung von Compliance-Maßnahmen siehe §§ 15 Absatz 3 Nummern 6 und 7, 16 bis 18).“ (VerSanG, Stand: 20.04.2020, S. 87, Hervorhebung hinzugefügt)
Wichtig ist die Formulierung „trifft oder getroffen hat“. Denn aus ihr ergibt sich, dass sowohl Compliance-Maßnahmen zum Zeitpunkt der Verbandstat (in deren Lichte die Tat als „Ausreißer“ zu sehen wäre) als auch nach Beendigung der Verbandstat im Sinne eines positiven Nachtatverhaltens (d.h. Optimierung der Compliance zur Vermeidung künftiger Verstöße) erfasst sind.
In künftigen Verfahren werden beide Punkte von ganz besonderer Bedeutung für die Verteidigung sein.
Sanktionszumessung
Wie bereits erwähnt ist eines der nicht abschließend genannten gesetzlichen Zumessungskriterien gemäß § 15 Abs. 3 Nr. 7 VerSanG der Umstand, dass der Verband nach der Verbandstat Vorkehrungen zur Vermeidung und Aufdeckung von künftigen Verbandstaten getroffene hat. Hier geht es um das positive Nachtatverhalten.
Aber neben dem Nachtatverhalten spielt auch im Rahmen der Zumessung bereits das (präventive) Compliance-System zum Zeitpunkt des Verstoßes eine Rolle. § 15 Abs. 3 Nr. 6 VerSanG spricht insoweit von „vor der Verbandstat getroffene Vorkehrungen zur Vermeidung und Aufdeckung von Verbandstaten“. Auch hierzu nochmals die Gesetzesbegründung:
„Dass es trotzdem zu einer Verbandstat gekommen ist, spricht nicht von vornherein gegen die Ernsthaftigkeit des Bemühens, Verbandstaten zu vermeiden, da auch ein Optimum an Compliance nicht verhindern kann, dass einzelne Leitungspersonen Straftaten begehen. In diesen Fällen kann eine substantielle Sanktionsmilderung vorgenommen werden (vgl. Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, 2. Auflage, S. 441). Liegen dagegen Defizite bei der Compliance vor und wäre die Verbandstat durch eine ordnungsgemäße Compliance verhindert oder wesentlich erschwert worden, kann nur das grundsätzliche Bemühen des Verbandes um Compliance zu seinen Gunsten gewürdigt werden und die Sanktionsmilderung allenfalls gering ausfallen.“ (VerSanG, Stand: 20.04.2020, S. 95, Hervorhebung hinzugefügt)
Folgen für die Compliance-Praxis
Die Neuregelungen werden zweifelsohne dazu führen, dass präventive Compliance an Bedeutung gewinnt.
Wer den Anspruch hat, im Ernstfall nachweisen zu können, dass zum Zeitpunkt der Verbandstat ein Optimum an Compliance existierte und die Tat ein praktisch nicht vermeidbarer „Ausreißer“ war, dürfte gute Chancen auf eine Einstellung oder Verwarnung unter Sanktionsvorbehalt haben, jedenfalls aber auf substantielle Sanktionsmilderung.
Wenn Verfahren nach dem Verbandssanktionengesetz eingeleitet werden, wird künftig die Optimierung der bestehenden Compliance-Struktur mit dem Ziel, künftige Verstöße zu vermeiden und aufzudecken, ein wichtiges Feld der Verteidigung.