Erste „Silver Notice“ von Interpol – Pilotprojekt zur Aufspürung krimineller Vermögenswerte gestartet
Kurz nachdem das Jahr 2025 weltweit mit farbenfrohem Feuerwerk begrüßt wurde, erweitert auch die Polizeiorganisation Interpol die Farbpallette ihres Informationsaustauschsystems. Zur bekannten Personenfahndung via „Red Notice“ gesellt sich seit Jahresbeginn im Rahmen eines Pilotprojekts die „Silver Notice“. Mit dieser können die Mitgliedsstaaten erstmalig um Informationen über kriminell erlangte Vermögenswerte verdächtiger Personen in anderen Staaten ersuchen. Ziel ist die effektive Bekämpfung transnationaler organisierter Kriminalität. Getreu dem Motto „Folge dem Geld“ sollen auf diese Weise Erträge aus Straftaten identifiziert und Abschöpfungsmaßnahmen vorbereitet werden. Die erste Silver Notice erfolgt (beinahe bilderbuchhaft) auf Betreiben der italienischen Finanzpolizei (Guardia di Finanza) und betrifft Vermögenswerte eines vermeintlich hochrangigen Mitglieds einer italienischen Mafia. Dieser Blogbeitrag vermittelt einen ersten Überblick über das neue Werkzeug der Silver Notice und stellt dieses in Kontext zu Entwicklungen im deutschen Recht im Bereich der Vermögensabschöpfung.
Das Farbcodierungs-System von Interpol
Der Informationsaustausch bei Interpol kennt grundsätzlich zwei Handlungsformen: „Notices“ und „Diffusions“. Notices sind Ausschreibungen, die der jeweilige Mitgliedstaat zentral an Interpol leitet und von dort aus an alle Mitgliedstaaten verteilt werden. Diffusions stellt der ersuchende Mitgliedstaat direkt an einen anderen ausgewählten Mitgliedstaat als Empfänger zu. Interpol erfasst sie anschließend zusätzlich in seiner Datenbank. Abhängig von der Zielrichtung des Ersuchens (Fahndung nach mutmaßlichen Straftätern, Vermisstenmeldung, …) unterscheidet Interpol bei Notices und Diffusions acht Farbkategorien (Red, Yellow, Blue, Black, Green, Orange, Purple und zukünftig Silver). Am bekanntesten ist hierbei die „Red Notice“, die ein Ersuchen um vorläufige Festnahme mit dem Ziel beinhaltet, die betreffende Person anschließend für ein Strafverfahren o.ä. auszuliefern gefolgt von der „Blue Notice“, die der Ermittlung von Aufenthaltsorten und Aktivitäten von Personen dient. Entgegen weit verbreiteter Vorstellung ist die „Red Notice“ dabei selbst kein formeller Haftbefehl, sondern lediglich eine Anfrage an die nationalen Strafverfolgungsbehörden anderer Mitgliedstaaten, die gesuchte Person zu lokalisieren und vorläufig festzunehmen. Red Notices veröffentlicht Interpol zum Teil auch auf seiner eigenen Webseite.
Das Pilotprojekt der Silver Notice
Grundlage für das Pilotprojekt der Silver Notice ist eine Resolution der 91. Generalversammlung von Interpol aus dem Jahr 2023. Die Pilotphase soll mindestens bis November 2025 dauern und auf der nächsten Generalversammlung von Interpol evaluiert werden. Beteiligt sind derzeit 52 Mitgliedstaaten, die während des Testlaufs insgesamt bis zu 500 Silver Notices und Silver Diffusions aufgeben können. Eine Veröffentlichung der Silver Notices ist während der Pilotphase noch nicht vorgesehen.
Die Silver Notice soll es Mitgliedsstaaten ermöglichen, Informationen über kriminell erlangte Vermögenswerte einer verdächtigen Person einzuholen, wie z.B. Immobilien, Fahrzeuge oder Unternehmensbeteiligungen. Die erlangten Informationen können anschließend zur Vorbereitung und Durchführung von Sicherstellungs-, Einziehungs- oder Rückgewinnungsmaßnahmen genutzt werden. Damit reiht sich das Instrument in eine auf nationaler und internationaler Ebene zu beobachtende Entwicklung ein, die in der Sicherstellung und Abschöpfung von kriminell erlangten Vermögenswerten ein effektives Mittel der Kriminalitätsbekämpfung sieht. Wenngleich Interpol bei seinem Pilotprojekt erkennbar vor allem die Bekämpfung Organisierter Kriminalität (OK) vor Augen hat, erfolgt formal keine nähere Einschränkung auf typische OK-Delikte wie etwa Drogenhandel. Eine Silver Notice soll vielmehr auch bei Betrug, Korruption oder anderen „erheblichen Delikten“ zum Einsatz kommen. Um Missbrauch – bspw. in Gestalt einer politischen Instrumentalisierung – entgegenzuwirken, überprüft das Generalsekretariat alle eingehenden Silver Notices und Silver Diffusions auf Vereinbarkeit mit der Verfassung Interpols. Die hier bei anderen Farbkodierungen geltenden Bedenken hinsichtlich dieser Prüfung dürften uneingeschränkt auf die neue Farbe zu übertragen sein.
Silver Notice und vergleichbare Entwicklungen im deutschen Recht
Erste Reaktionen auf die Einführung der Silver Notice fallen teils positiv aus. Sie könne nach Auffassung einiger Autoren „Game Changer“ bei der Rückgewinnung kriminell erlangter Vermögenswerte, „Meilenstein“ im globalen Kampf gegen organisierte Kriminalität oder „revolutionäres Werkzeug“ sein. Näher begründet wird diese Hoffnung indes zumeist nicht. Stattdessen sind vielmehr kritische Töne bzgl. des Pilotprojekts angebracht. Zwar ist die Zielsetzung – Bekämpfung organisierter Kriminalität – zu begrüßen. Die vermeintlich notwendigen „effektiven“ Werkzeuge zu ihrer Bekämpfung sind aber regelmäßig im Hinblick auf den rechtsstaatlich gebotenen Schutz des Betroffenen bedenklich weit gefasst. Obwohl Abstriche in der Rechtsposition des Betroffenen deshalb häufig mit der besonderen Gefährlichkeit organisierter Kriminalität gerechtfertigt werden, bleiben derartige Werkzeuge – zu denen nun die Silver Notice zählt – erfahrungsgemäß nicht lange auf Fälle der Schwerstkriminalität beschränkt. So zeigt die Aufgabe des zunächst beschränkten Katalogs tauglicher Vortaten bei der Geldwäsche gem. § 261 StGB und der in § 435 Abs. 4 StPO normierte Einsatz strafprozessualer Ermittlungsmaßnahmen zur Durchführung selbständiger Einziehungsverfahren, dass die an sich für mafiöse Strukturen geschaffenen Instrumente schnell Einzug in die Verfolgung jeder Art von (Wirtschaft-)Kriminalität ungeachtet ihres konkreten Unrechtsgehalts erhalten. Dieses Vorgehen ist umso kritikwürdiger, als die Einziehung kriminell erlangter Vermögenswerte nach der Rechtsprechung keine Strafe darstellen soll, so dass dem Betroffenen zahlreiche strafprozessuale Garantien nicht zur Verfügung stehen (vgl. zum Problemkomplex Hiéramente/Pfister jurisPR-StrafR 7/2021 Anm. 2). Gleichzeitig wird den Ermittlungsbehörden aber weitestgehender Zugriff auf das Instrumentarium strafprozessualer Ermittlungsmaßnahmen gewährt.
Inwiefern die Silver Notice die in sie gesetzten Erwartungen erfüllen kann, wird die Zukunft zeigen. Aus Perspektive der Strafverteidigung ist angesichts der weithin ungeklärten Voraussetzungen indes zu befürchten, dass der deliktische Ursprung von Vermögenswerten ohne nähere Begründung schlicht behauptet und die Silver Notice auf diese Weise faktisch als pauschale Vermögensauskunft über einen Betroffenen genutzt wird. Eine Einbindung von Interpol erscheint umso problematischer, als Interpol bereits nach seinen eigenen Statuten den behaupteten Verdacht keiner eigentlichen Prüfung unterzieht, sondern sich grundsätzlich darauf beschränkt zu prüfen, ob die Verfolgung augenscheinlich aus rassistischen, militärischen, politischen oder religiösen Gründen erfolgt. Eine gerichtliche Rechtsmittelinstanz existiert nicht.
Zudem erscheint es angesichts jüngerer gesetzgeberischer Entwicklungen in Deutschland und auch auf internationaler Ebene nicht fernliegend, dass das Instrument der „Silver Notice“ bald flächendeckend und nicht nur in den anvisierten Fällen organisierter Kriminalität zum Einsatz kommt. Unbestimmte Begriffe wie „Erheblichkeit der Straftaten“ werden erfahrungsgemäß zunehmend extensiv ausgelegt und kollidieren mit anerkannten Rechtsstaatsgarantien.
Zuletzt dürften sich auch die im Rahmen der „Red Notices“ hinlänglich bekannten Schwierigkeiten des Rechtsschutzes gegen ungerechtfertigte Ersuchen auch bei „Silver Notices“ einstellen. Die ersten Erfahrungsberichte und die geplante Evaluation des Pilotprojekts geben hier hoffentlich Aufschluss, ob und wie sich die Strafverteidigung künftig auf den Einsatz dieses neuen Instruments vorbereiten muss.