Die Krise in der Krise – Bankrott in Zeiten von Corona
Nach dem COVID-19-Insolvenzantragsgesetz (COVInsAG) sind Unternehmen, die infolge der Pandemie insolvenzreif sind, bis Ende September 2020 von der Pflicht, einen Insolvenzantrag zu stellen, befreit. Die Bundesjustizministerin hat nun angekündigt, die Regelung bis Ende März 2021 verlängern zu wollen. Strafrechtliche Risiken sind damit allerdings nicht vom Tisch.
Befreiung von Insolvenzantragspflicht nur bei pandemiebedingter Schieflage
Unabhängig von einer möglichen Verlängerung gilt die Befreiung von der Insolvenzantragspflicht durch das COVInsAG ausdrücklich nur für Unternehmen, die infolge der Corona-Pandemie in Schieflage geraten sind. Für alle anderen Firmen gilt weiterhin die maximale Insolvenzantragsfrist von drei Wochen.
Gerade in Fällen, in denen sich die Liquiditätskrise nicht zweifelsfrei mit Corona begründen lässt, bleibt damit das Risiko der Strafbarkeit wegen Insolvenzverschleppung. Im Hinterkopf sollten Unternehmer außerdem behalten, dass unter Umständen auch das Unternehmen selbst für Straftaten seiner Mitarbeiter und Geschäftsführer haftet. Oder anders ausgedrückt: Strafrechtliche Risiken sind auch für betroffene Unternehmen relevant.
Bei drohender oder eingetretener Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung stehen neben der Insolvenzverschleppung weitere Straftatbestände im Raum: Sie betreffen Handlungen in der Zeit, bevor überhaupt ein Insolvenzantrag zu stellen ist. Das COVInsAG sieht dahingehend allenfalls über Umwege Erleichterungen vor; es beseitigt aber die strafrechtlichen Risiken nicht.
Strafbarkeitsrisiko Bankrott
Aufmerksamkeit verdient insbesondere die Strafbarkeit wegen Bankrott (§ 283 StGB). Wegen Bankrott wird unter anderem belangt, wer während einer Liquiditätskrise Vermögen, das im Insolvenzverfahren zur Insolvenzmasse gehören würde, beiseite schafft. Bei der Wortwahl des „Beiseiteschaffens“ mag man typischerweise an Überweisungen auf Konten Dritter oder „Geschenke“ an Familie und Freunde denken. Der Tatbestand reicht jedoch erheblich weiter. Jedes Verhalten, das den Zugriff der Gläubiger auf die Vermögensbestandteile unmöglich macht oder erheblich erschwert, ist erfasst. Gerade Geschäftsleiter der Unternehmen mit laufenden Geschäftsbeziehungen sind damit einem strafrechtlichen Risiko ausgesetzt.
Welche Zahlungen dürfen in der Krise noch getätigt werden?
Zahlungen in der Krise darf das Unternehmen nur dann noch vornehmen, wenn sie den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft entsprechen. „Ordnungsgemäße Wirtschaft“ kann jedoch Vieles bedeuten, der Begriff ist schwer zu fassen. Orientierung bieten die handelsrechtlichen Anforderungen an einen ordentlichen Kaufmann. Bereits fällige Verbindlichkeiten zu erfüllen oder Austauschgeschäfte mit wertgleichen Vermögensgegenständen zu tätigen, wird einhellig als unproblematisch eingeordnet. Eine Art allgemeingültige Formel gibt es hier jedoch nicht – die Entscheidung ist jeweils vom Einzelfall abhängig.
Problematischer Sonderfall: Zahlungen für Dienstleistungen
Gerade bei Unternehmen, die im Rahmen ihres Geschäftes hauptsächlich Dienstleistungen beziehen, wird es knifflig. Schon anhand des Maßstabes eines ordentlichen Kaufmanns ist die enge Verbindung zwischen dem Wirtschaftsstrafrecht und dem Zivilrecht ersichtlich. Beide Rechtsgebiete regeln denselben Sachverhalt, wenn auch aus unterschiedlicher Perspektive. So erinnert auch der strafrechtliche Bankrotttatbestand in seinen Voraussetzungen an eine zivilrechtliche Haftungsnorm: § 64 GmbHG. Danach haften Geschäftsführer für Zahlungen, die nach Eintritt in die Liquiditätskrise erfolgen, wenn diese nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar sind.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zählen dazu Zahlungen für Dienstleistungen. Denn: Eine Dienstleistung stellt keinen unmittelbaren Gegenwert für die Zahlung dar. Rein bilanzrechtlich betrachtet entsteht damit ein Minus. Schon zivilrechtlich begegnet diese Rechtsprechung erheblichen Zweifeln: Geschäftsführer solcher Unternehmen sind ohne ersichtlichen Grund einem erhöhten Haftungsrisiko ausgesetzt. Aufgrund der Nähe des Straf- und Zivilrechts in diesem Bereich bleibt es jedoch nicht bei diesem zivilrechtlichen Haftungsrisiko. Es ist eine Tendenz zu beobachten, Wertungen aus dem Zivilrecht auf die strafrechtlichen Normen zu übertragen. Im Verhältnis zwischen § 283 StGB und § 64 GmbHG würde dies bedeuten, dass Zahlungen für Dienstleistungen auch zur strafrechtlichen Verfolgung führen würden. Abgesehen von verfassungsrechtlichen und systematischen Bedenken entschärfen zwei Aspekte diese Entwicklung.
Keine Haftung bei erforderlichen Zahlungen
Bereits unabhängig vom COVInsAG wird vertreten, dass die zivilrechtliche Haftung nicht eingreift, wenn die Zahlungen erforderlich waren, um den sofortigen Untergang des Unternehmens zu verhindern und die Umsetzung eines Sanierungsplanes zu sichern. Dasselbe gilt im Rahmen der strafrechtlichen Verantwortung und schließt diese aus.
Für Corona-gebeutelte Unternehmen sieht das COVInsAG dies sogar weiterreichend und vor allem ausdrücklich vor. Der Gesetzgeber hat darin der Auslegung von § 64 GmbHG des Zivilsenats des Bundesgerichtshofes eine Absage erteilt. Zahlungen, die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen, insbesondere solche, die der Aufrechterhaltung oder Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebs oder der Umsetzung eines Sanierungskonzepts dienen, gelten nach dem COVInsAG als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar. Der Gesetzgeber stellt damit klar: Auch die Bezahlung von Dienstleistungen können den Anforderungen an einen ordentlichen Kaufmann entsprechen. Und sie können einem Sanierungskonzept folgen, müssen dies aber nicht. Dies schlägt sich in der strafrechtlichen Dimension dieses Rechtsgedankens in § 283 StGB nieder.
Weiter Auslegungsspielraum
Die zunächst gute Nachricht wirft jedoch auch Fragen auf. Die alternativ verwendeten Begriffe „Aufrechterhaltung oder Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebes“ und „Umsetzung eines Sanierungskonzepts“ stehen praktisch unzähligen Konstellationen gegenüber. Der Auslegungsspielraum scheint sehr weit. Wohlwollend ließe sich sagen, dass dadurch viele Zahlungen unter das Gesetz fallen könnten. Echte Rechtssicherheit sieht aber anders aus.
Zudem sieht das Gesetz diese Klarstellung nur im Anwendungsbereich des COVInsAG vor. Es fragt sich, ob für Unternehmen, die nicht darunterfallen, weiterhin die Rechtsprechung des Zivilsenats mit ihren weitreichenden Folgen für das Strafrecht gelten soll. Die genannten Voraussetzungen für die Straflosigkeit in dem Fall sind enger als die, die im COVInsAG vorgesehen sind. Auch sind die genannten Kriterien nicht abschließend festgelegt. Für solche Unternehmen ist die Rechtsunsicherheit daher noch größer.
Fazit
In der Liquiditätskrise sollten Unternehmen Vorsicht walten lassen. Welche Zahlungen straffrei und welche strafbar sind, ist nicht abschließend geklärt. Auch das COVInsAG bietet nur begrenzt Rechtssicherheit.
Auf der sicheren Seite ist nur, wer das Vorgehen in der Liquiditätskrise genau dokumentiert. Besser noch sollte ein Sanierungskonzept vorgewiesen werden können. Keinesfalls sollten Zahlungen in der Liquiditätskrise unbedarft wie bisher weiter getätigt werden. Dann könnte die Folge eine Verurteilung wegen Bankrotts sein – und ein Bußgeld für das Unternehmen obendrein.