Anti-Doping-Gesetz soll Kronzeugenregelung erhalten
Das Bundesjustizministerium hat einen Referentenentwurf für die Einführung einer Kronzeugenregelung im Anti-Doping-Gesetz veröffentlicht. Danach soll für Täter einer Doping-Straftat unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit einer Strafmilderung bis hin zum Absehen der Strafe bestehen, wenn sie als Kronzeuge an der Aufklärung oder der Verhinderung einer Doping-Straftat mitwirken. Ob und wann die Neuregelung in Kraft tritt, steht damit noch nicht fest. Länder und Verbände können bis zum 1. März 2021 dazu Stellung nehmen.
Hintergrund des Vorschlags
Hintergrund des Referentenentwurfs ist der Evaluierungsbericht der Bundesregierung zu den Auswirkungen der im Anti-Doping-Gesetz enthaltenen strafrechtlichen Regelungen, der im November 2020 veröffentlicht worden ist. Dieser Bericht basiert auf den Untersuchungen der Hochschulprofessoren Elisa Hoven und Michael Kubiciel zur Bedeutung der Strafvorschriften im Anti-Doping-Gesetz, das im Dezember 2015 in Kraft getreten ist. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass die Ermittlungsbehörden an die Täter und Hintermänner von Dopingstraftaten ohne die Hilfe von Insiderinformationen nur schwer herankommen, insbesondere weil sich Doping im professionellen Sportbereich hauptsächlich „im Verborgenen“ vollzieht. Weder treten die Folgen einer Doping-Straftat sichtbar zu Tage noch gibt es geschädigte Dritte, die eine Tat anzeigen (Evaluierungsbericht, S. 112).
Dementsprechend ist die Anzahl der Verfahren wegen Doping-Straftaten vergleichsweise gering. Im Jahr 2019 gab es insgesamt lediglich 491 Verurteilungen wegen einer Doping-Straftat (S. 10 des Referentenentwurfs). In den Jahren zuvor war die Verurteilungsrate noch geringer, obwohl Dunkelfeldstudien darauf hindeuten, dass 6 bis 45 % der Profi-Sportler dopen (S. 6 des Referentenentwurfs).
Mauer des Schweigens soll durchbrochen werden
Um die für den Bereich der Dopingkriminalität typischen „geschlossenen Strukturen“ zu durchbrechen, haben die Sachverständigen die Einführung einer bereichsspezifischen Kronzeugenregelung im Anti-Doping-Gesetz vorgeschlagen. Auch bei Drogendelikten habe sich die in § 31 BtMG verankerte spezielle Kronzeugenregelung als effektives Instrument zur Aufklärung von Betäubungsmittelstraftaten bewährt (Evaluierungsbericht, S. 121 f.).
Zwar bestehen bereits nach geltendem Recht in §§ 46 und 46b StGB gewisse Instrumentarien, um kooperatives Verhalten eines Täters im Rahmen der Strafzumessung oder im Wege der Verfahrenseinstellung nach den §§ 153 und 153a StPO zu „belohnen“. Um potentiellen Informanten bei Dopingdelikten aber einen deutlich sichtbaren Anreiz für Aussagen zu geben, will der Gesetzgeber dem Beispiel des § 31 BtMG folgend eine weitere bereichsspezifische Sonderregelung für Kronzeugen schaffen.
Neben den beiden genannten Sachverständigen befürworteten auch der DOSB, die Nationale Anti-Doping Agentur (NADA) sowie der Verein „Athleten Deutschland“ eine Kronzeugenregelung im Rahmen einer Expertenanhörung im Deutschen Bundestag.
Inhalt der vorgeschlagenen Neuregelung
Mit § 4a soll daher eine neue Vorschrift in das Anti-Doping-Gesetz eingefügt werden, die für dopende Leistungssportler und sonstige Doping-Täter (zum Beispiel Dopingmittel verabreichende Ärzte) einen „sichtbaren Anreiz“ schaffen soll, sich über Doping-Straftaten freiwillig zu offenbaren.
Als Beispiel nennt die Begründung des Referentenentwurfs ausdrücklich den Dopingprozess um die „Operation Aderlass“, in dem die Ermittlungen erst durch die Aussagen eines österreichischen Profisportlers ins Rollen gekommen sind (S. 8 des Referentenentwurfs).
Der Entwurf sieht für Täter einer Doping-Straftat eine in das Ermessen des Gerichts gestellte Strafmilderung oder das Absehen von Strafe vor, wenn sie
- freiwillig und wesentlich zur Aufdeckung einer bereits begangenen Doping-Straftat (i.S.d. § 4 AntiDopG) beitragen (sog. Aufklärungshilfe), oder
- ihr Wissen um die Planung eines bevorstehenden Doping-Verbrechens (i.S.d. § 4 Abs. 4 AntiDopG) freiwillig und rechtzeitig gegenüber einer Dienststelle offenbaren, sodass es noch verhindert werden kann (sog. Präventionshilfe).
In beiden Fällen muss die offenbarte Tat mit der eigenen Doping-Straftat des Kronzeugen im Zusammenhang stehen. Der notwendige Zusammenhang soll beispielsweise vorliegen, wenn der Kronzeuge Angaben zu den Bezugsquellen, weiteren Abnehmern seines Lieferanten, des ihn dopenden Arztes oder zu organisierten Dopingstrukturen in seinem Team oder Verband macht (S. 11 des Referentenentwurfs).
Ein Absehen von Strafe soll allerdings nur dann möglich sein, wenn der Kronzeuge keine Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren verwirkt hat.
Zu beachten ist ferner, dass die durch die Kronzeugenregelung gewährten Privilegien bei der Präventionshilfe nur dann zur Anwendung kommen sollen, wenn sich diese auf die Verhinderung eines Verbrechens i.S.d. § 4 Abs. 4 AntiDopG bezieht, während Aufklärungshilfe bei allen Straftaten nach dem Anti-Doping-Gesetz honoriert werden kann (also auch beim Selbstdoping).
Vorbild ist § 31 BtMG
Die vorgeschlagene Neuregelung ist erkennbar an die Kronzeugenregelung in § 31 BtMG (sowie auch an § 46b StGB) angelehnt, sodass sich die dort in jahrelanger Praxis etablierte Auslegung der Begrifflichkeiten grundsätzlich auf die geplante Neuregelung in § 4a AntiDopG übertragen lässt. Beispielsweise wird sich ein „wesentlicher“ Aufklärungsbeitrag wie im Rahmen des § 31 BtMG bejahen lassen, wenn die Tat ohne den Aufklärungsbeitrag nicht oder nicht im gegebenen Umfang aufgeklärt worden wäre oder die Aussage des Täters eine sicherere Grundlage für die Aburteilung der Tatbeteiligten geschaffen hat, indem sie die Erkenntnisse der Strafverfolgungsbehörden mit der erforderlichen Überzeugung bestätigte (vgl. BGH, NStZ-RR 1996, 48 zu § 31 BtMG; BGH, NStZ 2016, 720, 721 zu § 46b StGB).
Strafschärfungen im Falle des Missbrauchs der Kronzeugenregelung
Um einem Missbrauch der Kronzeugenregelung vorzubeugen, sieht der Referentenentwurf für das Vortäuschen einer Straftat (§ 145d StGB) und die falsche Verdächtigung (§ 164 StGB) zudem eine erhöhte Strafandrohung vor, wenn diese Taten begangen werden, um sich eine Strafmilderung oder das Absehen von Strafe nach dem geplanten § 4a AntiDopG zu erschleichen.
Kritik
Der Vorschlag ist grundsätzlich zu begrüßen. Eine explizite Kronzeugenregelung verschafft Klarheit und die notwendige Sicherheit gerade für offenbarungswillige Leistungssportler. Es hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass die Ermittlungsbehörden von dieser Gruppe kaum nennenswerte Hinweise zu Dopingverletzungen erhalten haben. Vielmehr kamen diese zu etwa 65 % von der NADA und zu einem Viertel aus anderen Strafverfahren (S. 6 des Referentenentwurfs).
Wenn die Regelung Leistungssportlern aber einen effektiven Anreiz bieten soll, sich gegenüber den Ermittlungsbehörden zu offenbaren, überzeugt es nicht, dass die Strafmilderung lediglich in das Ermessen des Gerichts gestellt werden soll („kann“). Denn leistet ein Kronzeuge auf freiwilliger Basis einen wesentlichen Aufklärungsbeitrag sollte dies Anlass genug sein, ihm angesichts der offensichtlich bestehenden Notwendigkeit von Insiderinformationen zum Aufbrechen von Doping-Netzwerken eine gesicherte Strafmilderung in Aussicht zu stellen, um im Sinne des § 1 AntiDopG die „Bekämpfung des Einsatzes von Dopingmitteln und Dopingmethoden im Sport“ effektiv zu fördern, die Gesundheit der Sportler zu schützen, die Fairness und Chancengleichheit bei Sportwettbewerben zu sichern und damit zur Erhaltung der Integrität des Sports beizutragen.