Menschenunwürdige Haftbedingungen in Great Britain – Auslieferung unmöglich!
Es geht um die Auslieferung eines Beschuldigten nach Großbritannien. Er wurde mit internationalem Haftbefehl (red notice/Interpol) gesucht, als er nach Deutschland einreiste. Die deutsche Polizei nahm den Mann am 28.12.2022 fest. Er kam zunächst in Auslieferungshaft, wurde allerdings am 10.03.2023 aus der Auslieferungshaft entlassen und nicht ausgeliefert. Warum nicht, beleuchtet dieser Beitrag.
Wenn Auslieferungen scheitern, liegt das oft an menschenunwürdigen Haftbedingungen im ersuchenden Staat. Zu menschenunwürdigen Haftbedingungen im Sinne des Art. 3 EMRK hat sich der EGMR verstärkt in verschiedenen Entscheidungen seit dem Jahr 2016 positioniert und das Bundesverfassungsgericht bestätigt diese EGMR-Rechtsprechung im Wesentlichen. Die Einhaltung von menschenwürdigen Haftbedingungen ist nach deutschem Rechtsverständnis ein Beitrag zur Durchsetzung von Menschenrechten und natürlich den deutschen Grundrechten. Was im konkreten Fall erstaunt, ist das Zielland selbst, denn es handelt sich um Großbritannien.
Der Fall
Im Ermittlungsverfahren der britischen Ermittlungsbehörden gegen den Beschuldigten lag ein Haftbefehl des Westminster Magistrates Courts vor. In Deutschland angekommen, wurde er von der deutschen Polizei festgenommen und in Auslieferungshaft verbracht. Der britische Haftbefehl war den europäischen Polizeibehörden insbesondere auch über eine sogenannte Interpol red notice bekannt. Mit anderen Worten: der Beschuldigte hätte auch sonst wo festgenommen werden können.
Unzulässige Haftbedingungen
Der Verfolgte wehrte sich gegen diese Auslieferung und argumentierte unter anderem mit den menschenunwürdigen Haftbedingungen im District Westminster. Das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe hatte in der Folge die Auslieferung des Albaners aufgrund der drohenden Haftbedingungen als „derzeit unzulässig“ eingeschätzt. Grund für diese Einschätzung seien die dortigen Haftbedingungen, so das Gericht (Beschl. v. 10.03.2023, Az.: 301 OAus 1/23). Die Zellen seien zu klein, überbelegt, unmodern, nicht hygienisch und es herrsche Personalmangel und Gewalt.
OLG Karlsruhe verlangte Garantien
Nach dem Vortrag des Anwalt des Verfolgten zu den Haftbedingungen, sah sich das OLG veranlasst von britischer Seite Garantien zu den Haftbedingungen einzufordern. Man bat um die Bestätigung der Einhaltung von Mindeststandards im Sinne der Europäischen Menschenrechtskonvention. Zudem bat man um einen Zustandsbericht aus dem Gefängnis, in dem der Verfolgte inhaftiert werden sollte.
Auch ohne EU-Mitgliedschaft gilt die EMRK
Mit dem Brexit und dem Abwenden von der EU gelten nun nicht mehr die Regeln des Europäischen Haftbefehls zwischen Großbritannien und Deutschland. Trotz des Brexit ist Großbritannien weiterhin im europäischen Auslieferungsverkehr vernetzt über das 2020 geschlossene Trade and Cooperation Agreement (TCA). Dieses Abkommen ist im Wesentlichen ein Handels- und Kooperationsabkommen zwischen EU und UK.
Es regelt aber auch den Auslieferungs- und Rechtshilfeverkehr zwischen UK und der EU und das TCA sieht vor, dass die Vollstreckung eines TCA-Haftbefehls an Bedingungen geknüpft werden kann. Voraussetzung ist das Vorliegen stichhaltiger Gründe, die eine Gefährdung des Schutzes und der Grundrechte des Betroffenen annehmen lassen (Link zum TCA). Das OLG forderte also entsprechende Garantien und setzte eine Frist. Eine Reaktion kam, allerdings keine Garantien. Die Mail enthielt stattdessen Hinweise auf Pläne Großbritanniens, 20.000 neue Haftplätze zu schaffen, um der Überbelegung zu begegnen. Weitere geforderte Informationen, wie die Nennung der potentiellen Haftanstalt im Zielland, lieferte die Behörde nicht.
Einer nochmalig formulierten Bitte des OLG um Information und Garantien, begegnete Großbritannien – trotz kurzer Fristsetzung – mit Schweigen. Die Frist verstrich, das OLG fällte sein Urteil.
Entlassung aus der Auslieferungshaft
Der Verfolgte wurde aus der Auslieferungshaft entlassen. Entschädigung bekam er nicht, aber seine Freiheit. Die Strafverfolgung in Deutschland ist auszuschließen, da er weder in Deutschland kriminell geworden, noch Deutscher ist.
Großbritannien hat allerdings die Interpol red notice nicht zurückgenommen. Aus diesem Grund könnte der Verfolgte in anderen (europäischen) Ländern festgenommen werden. Die britische Justiz könnte allerdings durch Nachbesserung der Garantien nochmals versuchen, eine Auslieferung auch aus Deutschland zu erreichen.