Keine Auslieferung von Deutschland an Russland mehr?

Nur wenige Wochen nach dem völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine stoppte das Brandenburgische Oberlandesgericht in einem Beschluss vom 11. März 2022 die Auslieferung zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von 16 Jahren wegen organisierter Geldwäsche und Betruges mit einer Begründung, die auch in anderen Fällen Schule machen könnte (Az.: 1 AR 9/22 (S). Könnte dies ein vorläufiges Ende des Auslieferungsverkehrs mit Russland bedeuten? Was steckt dahinter?

Mit welcher Begründung verbot das Oberlandesgericht den deutschen Behörden die Auslieferung?

Das Oberlandesgericht Brandenburg ist der Überzeugung, dass vor dem Hintergrund der ab dem 24. Februar 2022 erfolgten völkerrechtswidrigen Invasion russischer Truppen in die Ukraine erhebliche Zweifel bestehen, dass die zu Gunsten der auszuliefernden Person geltenden völkerrechtlichen Mindeststandards in der Russischen Föderation eingehalten werden. Angesichts des bei Erlass des Beschlusses angekündigten – und inzwischen vollzogenen – Austritts aus dem Europarat sei nicht zu erwarten, dass sich die Russische Föderation zukünftig an die alle Mitgliedsstaaten des Europarates verbindende Verpflichtung zur Rechtsstaatlichkeit und zur Beachtung der Menschenrechte halten werde – mithin drohe Gefahr für die Grundrechte und für internationale Garantien, die Deutschland gewährleistet. Hinzu kommt, dass die auszuliefernde Person gegen etwaige Verstöße auch nicht mehr den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anrufen kann, dessen Gerichtsbarkeit Russland ebenfalls nicht mehr anerkennt.

Gilt der Beschluss auch für andere Fälle?

Das ist zu verneinen, der Beschluss regelt nur den entschiedenen Einzelfall. Jedoch kommt ihm eine gewisse Präjudiz-Wirkung zu, da andere Oberlandesgerichte sich über die Rechtsfrage zur Zulässigkeit der Auslieferung nicht hinwegsetzen dürfen, sondern im Fall einer abweichenden Meinung nach § 42 Abs. 1 IRG die Entscheidung des Bundesgerichtshofs einholen müssen. Im Moment scheint es aber eine starke Tendenz zu geben, im Fall Russlands nicht ohne Weiteres den Vertrauensgrundsatz gelten zu lassen, sondern namentlich bei Einwendungen der auszuliefernden Person Vorsicht walten zu lassen. Ein Automatismus der Ablehnung der Erfüllung der Rechtshilfepflichten nach dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen ist dies aber keineswegs! Insbesondere bei Fällen der Verfolgung von Schwerstkriminalität besteht ein Interesse Deutschlands, den vertraglichen gegenseitigen Auslieferungsverkehr nicht prinzipiell in Frage zu stellen.

Was ist mit Interpol-Ausschreibungen Russlands?

Als Mitglied von Interpol nimmt Russland – mit gewissen funktionalen Einschränkungen – weiterhin an der Kooperation dieser Organisation teil und das Interpol-Datenbanksystem enthält weiterhin Ausschreibungen Russlands. Dies gilt auch für sogenannte „Red Flags“ bzw. „Red Notices“, mit denen um die Verhaftung einer Person zwecks Vorbereitung des Auslieferungsverfahrens ersucht wird. Nach unseren Erfahrungen ist es keineswegs ausgeschlossen, dass die Bundespolizei entsprechende Festnahmen bei Einreise nach Deutschland vornimmt. Auch wenn diese letztlich nicht zur Auslieferung führen: Der Eintrag bei Interpol bleibt erhalten und kann bei Einreise in andere Staaten erneut zur Festnahme führen, wenn nicht bei Interpol erfolgreich um eine Löschung ersucht wird. Auch in deutschen Fahndungsdateien findet nicht automatisch eine Löschung statt, sodass es jedenfalls bis zu einer Löschung bei Interpol auch bei weiteren Grenzübertritten zu Unannehmlichkeiten kommen kann.

Fazit

Insbesondere mit den Entwicklungen des letzten Jahres hat Russland sich nicht nur den nach dem Fall des „eisernen Vorhangs“ mühsam erarbeiteten Glaubwürdigkeitskredit verspielt. Eine strafrechtliche Zusammenarbeit ist angesichts des Verlusts des Schutzes der EMRK und der Gerichtsbarkeit des EGMR sowie des entsetzlichen Menschenrechtsverständnisses, das in Folge des Krieges gegen die Ukraine offenbar wurde, nur noch sehr eingeschränkt realisierbar. In der Praxis bedeutet dies, dass ein hohes Potenzial der Verteidigung gegen Auslieferungsersuchen der Russischen Föderation besteht, ohne dass die Ablehnung in jedem Einzelfall von vornherein feststehen müsste – es bleibt immer noch eine Einzelfallentscheidung, die mit den konkreten Fakten erstritten werden muss.

Die russische Version dieses Beitrags finden Sie hier

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