Unternehmensverteidigung in Zeiten von Whistleblowing-Richtlinie und VerSanG-E
Geht es nach dem Wunsch des Bundesjustizministeriums, soll das Projekt „Unternehmensstrafrecht“ noch in dieser Legislaturperiode zum Abschluss gebracht werden – trotz der Dimension der Aufgabe und trotz der Corona-Krise. Die Kritik am VerSanG-E wird indessen lauter. Und im Verhältnis zu unternehmensinterner Aufklärung und Whistleblowing sind noch einige Fragen ungeklärt, wie Dr. Mayeul Hiéramente im folgenden Gastbeitrag beschreibt.
Das BMJV hat beim „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“ ordentlich aufs Tempo gedrückt. Die Kritik aus Wissenschaft und Praxis ließ allerdings nicht lange auf sich warten (hier ein Überblick). Sie kulminierte jüngst in der Stellungnahme des Rechtsausschusses und des Wirtschaftsausschusses des Bundesrats. Beide lehnen den Gesetzesentwurf ab und konstatieren: „Der Gesetzentwurf genügt den Anforderungen an ein effektives und für die Verfolgungsbehörden handhabbares Unternehmenssanktionsrecht nicht […].“
Diese harsche Kritik am geplanten Verbandssanktionengesetz ist im Kern zutreffend. Denn der Ansatz, ein kohärentes System zur Aufklärung und Ahndung von wirtschaftsstrafrechtlichem Fehlverhalten zu schaffen, zwar richtig und wichtig. Der Gesetzesentwurf lässt aber gerade diese Kohärenz vermissen.
Dies zeigt sich im VerSanG-E nicht nur an dem mehr als unglücklichen Verständnis von Unternehmensverteidigung und dem zu erwartenden Rattenschwanz einer in der jetzigen Praxis bereits zu beobachten Aufweichung des Beschlagnahmeverbots bei Berufsgeheimnisträgern. Deutlich wird dies auch bei der Ausgestaltung der Sanktionsmilderung bei verbandsinternen Untersuchungen. Diese Untersuchungen spielen sich im Schnittbereich zwischen Strafrecht, Arbeitsrecht, Datenschutzrecht und öffentlich-rechtlichen Vorgaben ab. Sie sind daher einer rein wirtschaftsstrafrechtlichen Lösung nicht zugänglich.
Arbeitsrechtliche Realitäten bleiben außen vor
Es ist insoweit bereits verwunderlich, dass das Gesetzespaket zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft sich zwar in der Begründung mit den arbeitsrechtlichen Realitäten befasst (vgl. Gesetzentwurf, S. 101 ff.), es in der Folge aber unterlässt, die für den unternehmerischen Alltag relevanten Fragen auch zu beantworten und klare gesetzliche Regelungen vorzunehmen.
Der Gesetzesentwurf sieht beispielsweise keine Veränderungen im Zivil- bzw. Arbeitsrecht vor. So wird zum Beispiel in § 17 Abs. 1 Nr. 5 c) VerSanG-E eine Belehrungspflicht zur Freiheit der Selbstbelastung proklamiert. Es wird aber keine arbeitsrechtliche Regelung vorgeschlagen, die den Umfang und die Grenzen der Auskunftspflichten von Arbeitnehmer definiert. Dabei konstatiert der Gesetzgeber selbst, dass in Rechtsprechung und Literatur der Umfang der Mitwirkungspflichten von Arbeitnehmern bei der Aufarbeitung von (strafbewehrten) Pflichtverletzungen durchaus umstritten ist.
Generell entsteht der Eindruck, dass das BMJV das heiße Eisen der Verantwortlichkeit der Unternehmensmitarbeiter nicht anfassen wollte. Dabei bedarf es auch aufgrund aktueller Entwicklungen auf europäischer Ebene einer genauen Abstimmung der legislativen Maßnahmen, beispielsweise beim Whistleblowing.
Mitwirkung von Arbeitnehmern bei der Aufklärung
In vielen sensiblen Sachverhalten, die Gegenstand verbandsinterner Untersuchungen sind, ist das Unternehmen auf die Mitwirkung der Arbeitnehmer angewiesen. Vor allem, wenn große Eilbedürftigkeit besteht wie etwa in Kartellverfahren, ist der Mitarbeiter eine wichtige Informationsquelle. Besonders effektiv ist die interne Sachverhaltsaufklärung dann, wenn Mitarbeiter proaktiv Missstände im Unternehmen offenbaren und über ein Hinweisgebersystem oder die Compliance-Abteilung Meldung machen. Diese interne Meldung erlaubt es dem Unternehmen, frühzeitig den Sachverhalt aufzuarbeiten und – für den Fall der Kooperation – diesen gegenüber den zuständigen Behörden freiwillig zu offenbaren.
Eine solche Offenlegung durch das Unternehmen honorieren die Behörden bereits heute regelmäßig. Im Falle der Einführung des Verbandssanktionengesetzes soll sie sich nach Vorstellung des BMJV über § 15 Abs. 3 VerSanG-E und § 17 VerSanG-E deutlich positiv für das Unternehmen auswirken.
Neue Regelungen zum Whistleblowing
Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wurde die interne Meldung auch regelmäßig als erforderlich angesehen. Der Arbeitnehmer schulde dem Unternehmen als Nebenpflicht zum Arbeitsvertrag Loyalität; er solle daher den Arbeitgeber in die Lage versetzen, etwaige Missstände zunächst selbst aufzuarbeiten und abzustellen.
Dieses Stufenverhältnis soll nunmehr durch die Whistleblowing-Richtlinie (RL 2019/1937/EU), die die EU-Staaten bis Ende 2021 in nationales Recht umsetzen müssen, (teilweise) abgeschafft werden. Im Anwendungsbereich der Richtlinie sollen sich Arbeitnehmer beim Verdacht von rechtswidrigem Verhalten unmittelbar an die Behörden wenden können.
Während das BMJV mit dem VerSanG-E offenbar eine Stärkung der internen Aufklärung und eine Privatisierung der Sachaufklärung beabsichtigt, wird gleichzeitig der Vorrang des internen Meldewesens abgeschafft. Dies mag zwar kein prinzipieller Widerspruch sein. Einen Anreiz zur internen Meldung und Aufklärung wird hierdurch jedoch nicht gerade geschaffen.
Anreizsysteme für interne Meldungen
Unternehmen können dies teilweise kompensieren. Effektive Hinweisgebersysteme, Vertrauen in die Arbeit der Compliance-Abteilung und der Geschäftsleitung sowie Amnestie-Programme im Krisenfall können gewichtige Anreize für Mitarbeiter schaffen, sich bei Hinweisen auf Straftaten erst einmal an interne Stellen zu wenden. Dennoch bleibt ein strukturelles Problem bestehen: Sind Mitarbeiter in rechtswidrige Machenschaften verstrickt, droht ihnen ein Strafverfahren. Damit sind gerade die Mitarbeiter, die über die meiste Sachverhaltskenntnis verfügen, oftmals nicht geneigt, die notwendige Aufklärung zu betreiben. Das Unternehmen kann insoweit zwar zivilrechtlich auf Ansprüche verzichten. Es kann jedoch naturgemäß keine Straffreiheit versprechen. Es kann nur zusagen, sich bei der Staatsanwaltschaft für den Mitarbeiter einzusetzen.
In der Praxis kann dies durchaus erfolgreich sein. Die Rechtslage ist insoweit aber unklar. Der Kronzeuge kann bei einer Offenlegung gegenüber der Staatsanwaltschaft von einer Strafmilderung nach § 46b StGB profitieren. Die Mitwirkung des Mitarbeiters an der verbandsinternen Aufklärung wird hingegen regelmäßig nur mittelbar bei der Strafzumessung oder im Rahmen des § 153a StPO berücksichtigt.
Fazit
Hier stellt sich eine rechtspolitische Frage: Wenn der Staat die Aufklärung von Straftaten im Unternehmen auf diese „auslagert“ und von Unternehmen eine an den Vorschriften der StPO orientierte Untersuchung – inklusive anwaltlichem Beistand, Belehrungspflichten und Schweigerechten – verlangt, wäre es dann nicht konsequent, die Kronzeugenregelung des § 46b StGB auf die Mitwirkung an verbandsinternen Untersuchungen auszuweiten? Der Staat würde damit einen weiteren Anreiz dafür schaffen, dass sich Mitarbeiter an interne Stellen wenden – ein Anreiz, der auch nach Art. 7 Abs. 2 der Whistleblowing-Richtlinie zulässig wäre.
Hinweis: Mit unserem Blog möchten wir ein Forum für einen meinungsfreudigen, offenen Diskurs zum Unternehmensstrafrecht bieten. Daher veröffentlichen wir regelmäßig auch Gastbeiträge anerkannter Experten aus Beratung und Wissenschaft. Die in den Gastbeiträgen vertretene Meinung muss dabei nicht unbedingt die Ansicht der Sozietät Wessing & Partner widerspiegeln.