Reform der Mandatsträgerkorruption – alle Probleme gelöst?

Das Vertrauen in die Integrität des Abgeordneten ist für eine parlamentarische Demokratie von grundlegender Bedeutung. Abgeordnete sind, so normiert es das Grundgesetz in Artikel 38, Vertreter des ganzen Volkes, dabei nicht an Weisungen und Aufträge gebunden. Die Repräsentierten müssen davon ausgehen können, dass sich die Repräsentanten dem Allgemeinwohl verpflichtet fühlen.

Vorgeschichte – Reaktion auf die Maskenaffäre

Das Vertrauen in die Integrität des Abgeordneten wurde in den vergangenen Jahren von mehreren Korruptionsskandalen erschüttert. In Erinnerung gerufen sei beispielsweise die sogenannte Maskenaffäre: Einem Abgeordneten wurde vorgeworfen, sich gegen Provisionszahlungen bei einem Bundesministerium für ein Unternehmen, das mit Schutzmasken handelte, eingesetzt zu haben.

Der Gesetzgeber reagierte 2021 mit einer Verschärfung der Verhaltensregeln für Bundestagsabgeordnete zum Schutz der Unabhängigkeit des Mandats (§ 44a AbgG). Ferner wurde der bisherige Tatbestand der Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern (§ 108e StGB) zu einem Verbrechen heraufgestuft. § 44a Abs. 3 AbgG bestimmt nunmehr, dass neben dem Mandat die entgeltliche Interessenvertretung für Dritte gegenüber dem Bundestag oder der Bundesregierung unzulässig ist.

Im Zuge des Strafverfahrens wegen des genannten Maskendeals zeigte der Bundesgerichtshof auf, dass die Maskendeals nicht vom Tatbestand der Mandatsträgerbestechlichkeit erfasst sind. Die entgeltliche Vertretung von Interessen sei nicht „bei der Wahrnehmung des Mandats“ erfolgt (BGHSt 67, 107 = NJW 2022, 2856). Nach der Rechtsprechung gehöre dazu nur „das Wirken (…) im Parlament, mithin im Plenum, in den Ausschüssen oder sonstigen parlamentarischen Gremien einschließlich der Fraktionen oder in mit Abgeordneten besetzten Kommissionen (…)“. Dies entsprach dem Willen des Gesetzgebers, der bei der Schaffung des § 108e StGB formulierte, dass nicht strafbar sei, wenn ein Mandatsträger gegen Entgelt „lediglich seine ‚Autorität‘ als Mandatsträger einsetze“ (BT-Drs. 18/607, S. 8). Der Bundesgerichtshof wies unter Bezugnahme auf die geänderten Verhaltensregeln in § 44a AbgG darauf hin, dass es Sache des Gesetzgebers sei, strafwürdiges außerparlamentarisches Handeln strafrechtlich zu bewehren (BGHSt 67, 107 = NJW 2022, 2856, 2864).

Dem ist der Bundestag gefolgt und hat im April 2024 den Straftatbestand der unzulässigen Interessenvertretung, § 108f StGB, beschlossen (BT-Drs. 20/10376). Bemerkenswert ist, dass der Gesetzgeber mit § 108f StGB methodisch Neuland betritt, indem eine – dem deutschen Korruptionsstrafrecht bislang unbekannte – dreiseitige Personenkonstellation zugrunde gelegt wird (ausführlich hierzu BRAK- Stellungnahme Nr. 23/April 2024, S.4).

Was regelt der neue Straftatbestand und was gerade nicht?

108f Abs. 1 StGB stellt nun darauf ab, dass ein Mandatsträger sich oder einem Dritten als Gegenleistung einen ungerechtfertigten Vorteil versprechen lässt oder annimmt, weil er während seines Mandates eine Handlung zur Wahrnehmung von Interessen des Vorteilsgebers oder eines Dritten unterlässt oder vornimmt.

Zu den Tatbestandsmerkmalen im Einzelnen:

  1. Täterkreis der Vorteilsnehmer

Absatz 1 Satz 2 definiert den Täterkreis der Vorteilsnehmer, namentlich Mitglieder des Bundestages oder der Landtage, des Europäischen Parlamentes sowie Mitglieder der parlamentarischen Versammlung einer internationalen Organisation. Mitglieder kommunaler Vertretungsorgane fallen nicht in den Täterkreis. Der Gesetzgeber stellt mit der Formulierung „nur für folgende Mandatsträger“ zudem klar, dass in den Täterkreis nur Mandatsträger fallen, keine Kandidaten für ein Mandat. In Österreich hat der Gesetzgeber in Reaktion auf die sog. Ibiza-Affäre auch die Vorteilszuwendungen gegenüber jenen Kandidaten unter Strafe gestellt, die das Amt später tatsächlich erreicht haben (Zimmermann, NJW 2024, 1847, 1848). Eine weitere Fassung des Tatbestandes wäre auch in Deutschland denkbar gewesen, zumal der BGH bereits durchblicken ließ, dass der bloße Status als Bewerber nichts an der Verwerflichkeit eines korruptiven Verhaltens ändere und das Sichbereitzeigen eines Bewerbers zur Vorteilsannahme ebenso strafwürdig sei (BGHSt 49, 275, 293 = NJW 2004, 3569).

  1. Tathandlungen

Tathandlungen sind auf der Nehmerseite nach Absatz 1 Satz 1 das Fordern, Sich-Versprechen-Lassen oder Annehmen eines ungerechtfertigten Vermögensvorteils, auf der Geberseite (Absatz 2) sind die Tathandlungen spiegelbildlich ausgestaltet.

  1. Zuwendungsobjekt

Die Beschränkung auf Vermögensvorteile scheint nur auf den ersten Blick sachgerecht, wenn die Kommerzialisierung der Interessenwahrnehmung pönalisiert werden soll (§ 44 Abs. 3 AbgG spricht von entgeltlicher Interessenswahrnehmung). Ein Gleichlauf mit § 108e StGB besteht nicht. Denn § 108e StGB spricht vom Vorteil und erfasst demnach auch nicht-wirtschaftliche Vorteile. Gründe für das eng gefasste Begriffsverständnis nennt der Gesetzgeber nicht. Es leuchtet jedenfalls nicht ein, warum immaterielle Vorteile (z.B. sexuelle Dienstleistungen) nicht erfasst sein sollen, wenn diese in gleicher Weise wie Vermögensvorteile auf den Vorteilsnehmer motivierend wirken können.

Es muss sich zudem um einen ungerechtfertigten Vermögensvorteil für den Mandatsträger oder einen Dritten handeln. § 108f Abs. 3 StGB verweist hierzu auf § 108e Abs. 4 StGB. Danach liegt ein ungerechtfertigter Vorteil insbesondere nicht vor, wenn die Annahme des Vorteils im Einklang mit den für die Rechtsstellung des Mitglieds maßgeblichen Vorschriften steht. Nach der Gesetzesbegründung soll damit sichergestellt werden, dass nichts unter Strafe gestellt wird, was nach parlaments-, parteien- oder abgeordnetenrechtlichen Regelungen zulässig wäre. Nach Vorstellung des Gesetzgebers sollen beispielsweise zulässig sein: Geldwerte Zuwendungen, sonstige Vergünstigungen aus Anlass der Wahrnehmung interparlamentarischer oder internationaler Beziehungen, Zuwendungen zur Teilnahme an Veranstaltungen zur politischen Information sowie Gastgeschenke mit Bezug zum Mandat (§ 48 AbgG). Ebenso tatbestandlich ausgenommen sind Honorare, die als Gegenleistung für eine parlamentsrechtlich zulässige Interessensvertretung durch Rechtsanwälte gewährt werden (§ 46 AbgG).

Die Beschränkung ist sachgerecht. Sie gewährleistet nicht nur einen Gleichlauf zwischen dem Abgeordneten- und Strafrecht, sondern schließt vor allem explizit erlaubte Zuwendungsvorgänge aus dem Tatbestand aus (El-Ghazi/Wegner/Zimmermann wistra 2023, 353, 356).

  1. Während der Wahrnehmung des Mandats

Das Tatbestandsmerkmal „während des Mandats“ grenzt den Tatbestand des § 108f zu § 108e StGB („bei der Wahrnehmung des Mandats“) ab. Eine darüberhinausgehende Funktion kommt dem Tatbestandsmerkmal nicht zu. Denn bereits durch die Engfassung des Täterkreises auf Mandatsträger wird deutlich, dass dem Mandat vor- und nachgelagerte Handlungen tatbestandlich nicht erfasst sind.

Irrelevant ist es nach der Gesetzesbegründung, ob sich der Mandatsträger ausdrücklich oder konkludent auf sein Mandat beruft oder ein konkreter inhaltlicher Bezug besteht (BT-Drs. 20/10376, S. 9). Allerdings könnte in den Wortlaut „während des Mandats“ ein funktionaler Konnex hineingelesen werden (Allgayer, Stellungnahme vom 11. März 2024, S. 11).

5. Unrechtsvereinbarung

Es bedarf einer echten Unrechtsrechtsvereinbarung. Das heißt der Vermögensvorteil muss als Gegenleistung für eine Handlung zur Wahrnehmung von Interessen gewährt bzw. gefordert/angenommen werden. Eine tatsächliche Einflussnahme bzw. Wahrnehmung der Interessen ist nicht erforderlich (BT-Drs. 20/10376, S. 11).

Der Tatbestand beschränkt die Strafbarkeit entgeltlicher Interessenwahrnehmung durch Abgeordnete auf Handlungen, die die „für die Rechtsstellung des Mandatsträger maßgebliche Vorschriften verletzen“ würden, was eine Überschneidung mit dem Merkmal „ungerechtfertigt“ mit sich bringt (Eisele, Stellungnahme vom 13. März 2024, S. 11). Diese Ausgestaltung von § 108f StGB als Blankettnorm bedeutet im Ergebnis: Tatbestandlich bedarf es der positiven Feststellung eines Verstoßes gegen das Abgeordneten-, Parteien- oder Parlamentsrecht. Was danach nicht verboten ist, ist nicht strafbar.

Im Ergebnis führt dies dazu, dass der Straftatbestand für die meisten Landesparlamente leerläuft, da es an den den Blanketttatbestand ausfüllenden landesparlamentsrechtlichen Regelungen fehlt (ausführlich hierzu Zimmermann, NJW 2024, 1847, 1849).

Fazit

Die außerstrafrechtlichen Regelungen im Parteien-, Parlaments- u und Abgeordnetenrecht lassen das ebenso strafwürdige Verhalten der Vorteilsgeberseite außer Acht. Die „Reform“ ist daher im Grundsatz zu befürworten. Der im Gesetzgebungsverfahren vorgetragene Einwand, dass Strafrecht nur ultima ratio sein dürfe und man daher hätte abwarten müssen, inwieweit die im Zuge der Maskenaffäre verschärften außerstrafrechtlichen Regelungen ihre präventive Wirkung entfalten, vermag nicht zu überzeugen.

Der Gesetzgeber wollte mit § 108f StGB eine Strafbarkeitslücke schließen. Dies gelingt leider nur bedingt. Die Reform hat eine Vielzahl an Fragen aufgeworfen, welche von den Regierungsfraktionen im Gesetzgebungsverfahren allesamt nicht beantwortet wurden. Dies betrifft nicht nur die beschriebenen Kritikpunkte bzgl. des eng gefassten Vorteilbegriffs, des Außerachtlassens von Kandidaten oder der Ausgestaltung als Blankettnorm, sondern auch die Frage nach der Mit-Erfassung kommunaler Mandatsträger oder den Umgang mit der Beteiligung an Gesellschaften, die Interessenvertretungen oder Beratertätigkeiten ausüben (Eisele, Stellungnahme vom 13. März 2024, S. 12).

Es ist dem Gesetzgeber anzuraten, sowohl den Tatbestand des § 108f StGB als auch die Pflichten aus dem Parlaments- und Abgeordnetenrecht, die bei Verstoß eine Strafbarkeit begründen sollen, zu präzisieren und weiterhin bestehende Strafbarkeitslücken zu schließen. Dies könnte durch eine Streichung des Blankettmerkmals und Ausgestaltung als „stand alone-Vorschrift“ gelingen (hierzu auch Zimmermann, Stellungnahme vom 11. März 2024, S. 13).

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